Auf der Flucht
konnte oder einen beruflichen Grund fand, in Witzigmanns »Aubergine« zum Beispiel und sah mit einer Mischung aus Zustimmung und Verachtung, wie meine Landsleute an den Flughafenbars die Piccolo-Fläschchen der »Witwe« bestellten. Wilhelm Busch fiel mir ein, die »Fromme Helene«, ihre Hochzeitsreise, die mit dem Sauf- und Fresstod das eben gewonnenen Gatten bitter endet:
Wie lieb und luftig perlt die Blase
Der Witwe Klicko in dem Glase.
»Kir Royal« nahm diese Spießersatire wieder auf – Busch, Wedekind, Sternheim hatten sie Dietl vorgezeichnet. Neuer Wertmesser einer hochfidelen Society war das »in« und »out« ihrer Mitglieder, ihr Erscheinen in den Klatsch- und Gesellschaftsspalten der Zeitungen und Zeitschriften. Ihr Sitten- und Kursrichter war der Klatschreporter Baby Schimmer los. Er war die Schlüsselfigur der Dietl-Serie. Franz Xaver Kroetz, als Autor schrieb er »Volksstücke« in der Horvath-Tradition, spielte mit blond onduliertem Haar den Klatschreporter.
Mir gefiel, ja ich liebte diese Serie einer verschwenderisch gelebten Nutzlosigkeit, zumal ich wusste, dass nur jemand sie so glänzend bloßstellen konnte, der sich gleichzeitig nach ihren Vergnügungen verzehren konnte.
Helmut Dietl, den ich in Klatschspalten an der Seite Barbara Valentins gesehen hatte und mit dem ich später an der Seite von Vroni Ferres im, fast hätte ich gesagt: »Rossini«, es war aber das »Romagna Antiqua«, manchen Abend verbracht habe, hatte als Teilhaber und kritischer Beobachter dieser Welt die unbarmherzig misanthropischen Qualitäten, vor allem den bösen Blick, den Charme und die Unterhaltsamkeit, mit denen man München, »sein« München, als »heimliche Hauptstadt«, also als Paradigma der bundesrepublikanischen Gesellschaft sehen und erkennen, ja, wenn man so will, durchschauen konnte.
Ich bewunderte an Dietls »Münchner Geschichten«, am »Ganz normalen Wahnsinn« und am »Monaco Franze«, dass er die Politik nicht in der Gesellschaft, sondern die Gesellschaft als die Politik darstellte. Er ist einer der wenigen und war einer der ersten Künstler in Deutschland, dem es gelang, zum Vergnügen seiner Zuschauer die Trennung zwischen E-Kultur und U-Kultur aufzuheben – und das, ohne dabei seicht zu werden; er gehört zu denjenigen, die Tiefe in polierter Oberfläche erreichen. Und was das Politische betraf, so reagierte Dietls komödiantische Satire nicht auf die CSU als bayerische Regierungspartei, weil es die CSU war, sondern weil sie an der Regierung war. Dietl ist kein Parteigänger, wie das viele von ihm erwarteten, sondern ein Gesellschaftskritiker, ganz und gar parteiisch nur in der Fähigkeit seiner Witterung, gesellschaftliche Strömungen aufzunehmen. Ich mag ihn, weil ich ähnlich angezogen-abgestoßen in der Gesellschaft lebe – wenigstens glaube ich das.
Die ersten beiden Folgen von »Kir Royal« liefen Ende September 1986. In der ersten spielt Mario Adorf ein armes Würstchen, einen reichen Unternehmer aus der Provinz, der sich Zugang zu einem In-Lokal der Münchener Snobiety erkauft und dabei gehörig über den Löffel halbiert wird. Recht geschieht es ihm, denkt der Zuschauer und ertappt sich doch dabei, wie das Mitleid mit einem Mann wächst, der das große, das wahre Leben dort vermutet, wo es ihm die In-Spalten der Zeitungen suggerieren. Man denkt auch: Mehr hat er nicht! Mehr verdient er nicht! Wirk lich nicht?
Und so ging es weiter, banales Leben wurde gezeigt, das sich falschen Glanz zu borgen sucht – alles das also, was jeder aus seiner eigenen Biographie kennen müsste, würde sein Stolz es nicht verdrängen. Die Reaktionen auf die Dietl-Serie waren gemischt. »So toll ist das ja nun doch nicht«, war die snobistische Variante in der »Spiegel«-Chefredaktions-Etage.
Es war aber nicht mehr die Zeit der Skandale, wie etwa zu Zeiten von Schnitzlers »Reigen« – also versuchte man »Kir Royal« auf die Banalität runterzureden, die Dietls Serie anprangerte. Ich verteidigte sie in der »Spiegel«-Konferenz mit einer fast wütenden Heftigkeit – natürlich, wie man das als Kritiker tut, auch mit dem hochfahrenden Hochmut desjenigen, der meint, als Einziger (und damit »Auserwählter«) alles zu verstehen.
Ich habe bei der »Zeit« und beim »Spiegel« oft mit aller erborgten und erworbenen Macht Parteinahme betrieben, für das, was ich für gut, nötig und richtig erachtete. Als ich mich für die Intendanz Peter Zadeks am Deutschen Schauspielhaus Hamburg einsetzte,
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