Auf der Flucht
nachspielen. – Das kann ich gut behaupten, denn er ist kurz darauf schwer verunglückt, vor seiner Haustür gestürzt, hat sich von dem Sturz nie mehr erholt. – Sein Nachfolger Wolfgang Wiens, den ich ohnehin für einen Türsteher des klassenkämpferischen Ernstes hielt, hat das Stück dann auch abgelehnt. Eine ganz falsche Sicht auf die Dinge konnte er aber nicht haben, denn er hat dem Thalia immerhin mit »Black Rider« von Bob Wilson einen triumphalen Erfolg bereitet. Meine beiden Kinder Laura und Niko haben des Stück ein Dutzend Mal gesehen und können es noch heute, fünfzehn Jahre danach, mitsprechen und mitsingen.
»Die Wachtel« von Daniel Doppler dagegen haben sie nie zu Gesicht bekommen. Doch die Ironie des Schicksals will, dass Ulrich Khuon sie zum Bodensee-Festival in Konstanz und Meersburg aufführte und dass er, seit Flimms Intendanten-Ende am Thalia, dieses Theater erfolgreich fortführt.
Während des Mittagessens sagte Augstein, nachdem er mein Stück noch einmal als »amüsant« und »unterhaltsam« belobigt hatte, nach einer Pause, wobei er mich prüfend ansah: »Aber dass du ein zweiter Shakespeare bist, glaubst du jetzt nicht?« »Nein, Rudolf«, erwiderte ich. »Das glaube ich nicht!«
Zurück im Büro, wiederholte meine Sekretärin, ich solle sofort Böhme anrufen. Ich tat es und der Chefredakteur schien auf meinen Anruf schon gewartet zu haben. »Nun?«, fragte er. »Wie war das Essen?« »Schön«, sagte ich, »angenehm.« »Und habt ihr auch über Ihr Stück gespro chen?« »Ja«, sagte ich, »wir haben auch über mein Stück gesprochen. Und ich habe Augstein gesagt, wie sehr ich mich gefreut habe, dass er bei der Premiere dabei gewesen ist.« »Und sonst hat er nichts gesagt?«, fragte mich Böhme. »Nein, sonst nichts!« Und dann sagte ich: »Warten Sie! Doch! Er hat noch etwas gesagt! Er hat mich gefragt: ›Aber du denkst jetzt nicht, dass du ein zweiter Shakespeare bist‹. Und ich habe ihm geantwortet, wahr heits gemäß: »Nein, ich denke jetzt nicht, dass ich ein zweiter Shakespeare bin.‹«
»Der Feigling!«, entfuhr es Böhme am Telefon. Und als ich ihn fragte, wieso er denn unseren Herausgeber als Feigling bezeichne, erzählte er mir, dass Augstein in der Verlagskonferenz von der Uraufführung in Osnabrück berichtet habe. Und dann habe er, ziemlich ungnädig, mit gnatziger Stimme gesagt, das gehe doch nicht, dass ein Leiter des Kulturressorts des »Spiegel« auch noch Theaterstücke schreibe. Böhme habe ihm daraufhin gesagt: »Dann sag's ihm doch selbst! Er ist doch dein Freund!« Und daraufhin habe sich Augstein mit mir zum Essen verabredet.
Von da an wusste ich, dass ich ein Problem beim »Spiegel« haben würde. Aber das Problem entzündete sich dann nicht an meinen Theaterstücken, sondern am Fernsehen.
Übrigens hatte die Gruppe »Frankie goes to Hollywood« mit ihrem kleinen bisexuellen Lead-Sänger Holly Johnson – sein Song »Relax« war damals ein großer Hit – trotz des Brian-de-Palma-Films »Body Double« (der auch nicht an dessen große Erfolge wie etwa »Dressed to Kill« anknüpfen konnte) in den USA keinen Erfolg. Auch sie ist nicht nach Hollywood gekommen. Wenn auch viel weiter als ich.
Helmut Dietls »Kir Royal«
Ende September 1986 lief in der ARD Helmut Dietls Serie »Kir Royal« an, aus Deutschlands »heimlicher Hauptstadt« – so nannte der »Spiegel« München wegen der Lebensart der »Bussi«-Gesellschaft, die sich unter der CSU-Monarchie von Franz Josef Strauß entwickelt hatte. Die Deutschen hatten eine neue Lebensart – und Lebensfreude – entwickelt, für die der Champagner-Cocktail Kir Royal stand (ein Schuss Cassis, also schwarzer Johannisbeerlikör, mit Champagner, damals vorzugsweise Veuve Cliquot, aufge gossen). Der Cocktail galt als Zugehörigkeitsnach weis zur besseren Gesellschaft, die auf das »savoir vivre« der nouvelle cuisine aus war. Meine Komödie »Die Wachtel« handelte von einem Esskritiker, einem Fresspapst – Wolfram Siebeck war sein Modell –, und kürzlich stand in einer Würdigung der Lebensleistung Siebecks, er habe den Deutschen die fettigen Bratkartoffeln und die Tütensuppen abgewöhnt. Gut.
Auch ich war stolz, dass ich fettige Bratkartoffeln von einer Quiche, eine im Sommer gekühlte Vichysoise von einer Tütensuppe und Champagner von einem Rüttgers Club unterscheiden konnte. Ich aß im Urlaub im Elsass oder in der Bourgogne und in München, wenn irgend möglich und ich es mir leisten
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