Auf der Insel der Sehnsucht
Kay hatte beides bestätigt. Aber er sei knauserig, schaue auf jeden Dollar und weigere sich, die Restsumme der Hypothek für Kays Eigentumswohnung zu begleichen, obwohl er nicht wollte, dass sie weiter arbeitete.
Weil er Kay ganz für sich haben wollte.
Also hatte Ivy der Schwester das Geld gegeben. Eine ziemlich hohe Summe, doch wie hätte sie Nein sagen sollen? Sie verdankte Kay so viel. Mit Geld würde sie diese Schuld nie abtragen können.
Einige Wochen später war Kay wieder zu ihr gekommen. Sie hatte ihr den Rest der Geschichte erzählt. Über die Fehlgeburt. Wie Damian jetzt den Beweis von ihr verlange, dass sie ihm einen Erben schenken könne.
Den Erzählungen nach schien dieser Mann ein gefühlloser Kerl zu sein, doch Kay betete ihn an. Weinend hatte sie beteuert, dass sie ihm dieses Kind schenken wollte. Es wäre ihr größter Wunsch.
Sie erinnerte Ivy an die gemeinsamen Jahre als Teenager – Erinnerungen, die Ivy noch heute zu vergessen suchte.
„Weißt du noch, wie verzweifelt du damals warst?“, hatte Kay unter Tränen geschluchzt. „So verzweifelt bin ich heute. Bitte, du musst mir einfach helfen!“
Letztendlich hatte Ivy zugestimmt, weil sie glaubte, das Richtige zu tun, auch wenn es emotionell mehr als problematisch werden könnte. Allerdings hätte sie nie vermutet, dass es so weit gehen würde. Dass es sich zu etwas entwickeln würde, was sie fast sofort bereute und was ihr Nacht für Nacht den Schlaf raubte …
Etwas, das sie durchaus vor Gericht bringen könnte. Und wie sollte sie dann die Rechtskosten bezahlen?
Ivy griff zum Telefon und rief ihren Agenten an. Sie würde den Job für La Belle doch übernehmen. Er wurde gut bezahlt, und noch waren keine Anzeichen einer Schwangerschaft zu bemerken.
Ob Anzeichen oder nicht, der Fotograf bestand darauf, dass sie von Kopf bis Fuß zurechtgemacht wurde. Den ganzen Tag verbrachte sie mit dickem Make-up auf dem Gesicht, schlüpfte in und aus den verschiedensten Kombinationen, jedes Mal durch passende, aber geradezu gefährlich hohe Stilettos ergänzt.
Es war schon nach fünf Uhr, als sie wieder nach Chelsea zurückkam und vor dem Backsteingebäude stand, in dem ihre Wohnung lag. Sie war erschöpft und hatte Kopfschmerzen. Das Make-up lag noch dick wie eine Maske auf ihrem Gesicht, weil sie nicht dazu gekommen war, sich abzuschminken, und ihre Füße … ihre Füße waren zwei geschwollene Klumpen, in denen es schmerzhaft pochte.
Noch immer trug sie die Stilettos vom letzten Fototermin. „Armer Liebling“, hatte die Stylistin sie zu trösten versucht. „Behalt sie einfach, als kleine Entschädigung.“
Also war Ivy mit den Schuhen zum Taxi gehumpelt und auch leicht wankend wieder ausgestiegen. Wenn sie es jetzt noch die drei Etagen bis zu ihrem Apartment hinauf schaffte …
Drei Etagen. Sie erschienen ihr heute wie die Besteigung des Mount McKinley.
Ivy holte tief Luft und betrat die ersten Stufen. Oben angelangt, zitterte sie vor Müdigkeit. Sie rang um Atem, während sie ihren Schlüssel hervorkramte und ins Schloss steckte.
Gleich. Gleich würde sie diese Schuhe von den Füßen streifen können. Sie würde sich ein weites T-Shirt und eine noch weitere Jogginghose anziehen. Dann würde sie sich Sandwichs zubereiten, eines dick mit Erdnussbutter bestrichen, das andere mit Honig, auf frischem Weißbrot, das die Ernährungsgurus so verteufelten.
Ivy betrat ihre Wohnung, schloss die Tür und legte die Kette ein, wie sie es immer tat, drehte sich um und …
… schrie erschrocken auf.
Ein Mann mit dunklen Haaren und breiten Schultern, in Lederjacke und ausgewaschener Jeans, saß in einem Sessel in ihrem Wohnzimmer.
„Langsam“, sagte er und hechtete aus dem Sessel. Doch da war es schon zu spät. Der Boden kam rasant auf Ivy zu.
„Thee mou“, knurrte eine Stimme.
Sie fühlte noch, wie starke Arme sie packten, dann wurde es schwarz um sie.
So schnell hatte Damian sich noch nie im Leben bewegt. Nur gut, dass er eine gute Reaktionsgabe besaß. Die Frau hing in seinen Armen wie die sprichwörtliche Lumpenpuppe. Man konnte ja Witze machen darüber, dass die Frauen einem zu Füßen sanken, aber wenn es dann tatsächlich passierte … Vor allem, wenn die Frau schwanger war.
Er fluchte blumig in seiner Muttersprache und verdrängte seine besorgten Gedanken. Er war hier, um sich um diese Tatsache zu kümmern. Das würde er auch. Aber im Moment war Ivy wichtiger.
Was sollte er jetzt tun? Sie war erschreckend bleich, ihr Atem ging
Weitere Kostenlose Bücher