Auf der Insel der Sehnsucht
Trotzdem hatten sie bisher kaum mehr als zwanzig Worte miteinander gewechselt.
Damian war klar, dass Lucas ihm die Zeit ließ, um das Gespräch zu beginnen, doch vorerst war er zufrieden, sich mit Gewichten und Laufen den Schweiß aus den Poren zu treiben.
Nichts half besser, mit Wut umzugehen, als ein anständiges Workout.
Das hatte er in den Tagen gelernt, während er „Aristedes Shipping“ wieder aufgebaut hatte. Oft genug hatte es damals Gelegenheiten gegeben, wenn er vom Konferenztisch, an dem er mit den gierigen Geldgebern gesessen und verhandelt hatte, aufgestanden und zu den Docks gegangen war, um eines der Frachtschiffe zu entladen.
Im Moment hatte sich allerdings genug Wut in ihm aufgestaut, um zwei Schiffe zu entladen.
„Damian.“
Vielleicht sogar ein drittes …
„He, Damian! Was soll das? Trainieren wir hier, oder arbeiten wir auf einen Herzinfarkt hin?“
Damian blinzelte, verlangsamte das Tempo, sah sich um und erblickte Lucas, der mitten auf der Bahn stehen geblieben war, in der Hüfte vornüber eingeknickt, die Hände in die Seiten gestemmt. Lucas rang nach Atem, der Schweiß tropfte ihm von der Stirn.
Und ja, auch Damian atmete nur noch rasselnd. Wie viele Meilen mochten sie wohl gelaufen sein? In welchem Tempo? Wenn sie ihr übliches Training absolvierten, sah keiner von ihnen so aus.
Ausgepowert verließ er die Laufbahn, ging zu dem Regal mit den Handtüchern und warf Lucas eines zu. „Sorry, Mann.“
„Es sollte dir auch wirklich leidtun.“ Lucas wischte sich den Schweiß vom Gesicht und grinste. „Von einem alten Mann wie dir hätte ich so ein Tempo nicht erwartet.“
Damian grinste zurück. „Ich bin gerade mal zwei Monate älter als du, Reyes.“
„Na und? Wenn man auf die zweiunddreißig zugeht, zählt jeder Tag.“
Damian warf sich das Handtuch um die Schultern, und Seite an Seite gingen die beiden Männer in die Umkleidekabine.
„Danke“, sagte Damian nach einer Weile.
Lucas warf einen Seitenblick auf seinen Freund, überlegte, ob er so tun sollte, als hätte er ihn nicht verstanden, entschloss sich dann aber für ein offenes Wort. „ De nada . So, wie du dich angehört hast, hätte ich ein Treffen mit dem Präsidenten abgesagt. Willst du mir erzählen, was los ist?“
Damian zögerte. „Lass uns erst duschen und anziehen. Dann nehmen wir einen Drink zusammen.“
„Hier?“
Damian musste über das Entsetzen in Lucas’ Stimme lachen. Der Fitnessclub hatte zwar eine Bar, aber da wurden nur Frucht- und Gemüsesäfte serviert. „Nein, nicht hier. Ich mag alt sein, aber so alt nun auch wieder nicht.“
Lucas grinste. „Das erleichtert mich aber ungemein. Wie wär’s mit der Bar zwei Blocks weiter? Die mit der Mahagoni-Vertäfelung?“
„Hört sich gut an.“
Die Bar war gut. Sie war genau so, wie man es von einer Bar erwartete. Dunkel, mit diskreten Nischen und bequemen Polsterbänken. Der Barkeeper war kompetent und fix, der Wodka eisgekühlt.
Zuerst sprachen sie nicht viel. Lucas berichtete von einem Stück Land, das er zu kaufen gedachte, um es seiner riesigen Hazienda in Spanien anzuschließen. Damian hörte zu und gab von Zeit zu Zeit ein aufmunterndes „Klar!“ oder ein fragendes „Tatsächlich?“ als Kommentar ab.
Dann schwiegen sie wieder beide.
Bis Lucas sich räusperte. „Also“, setzte er an. „Alles okay mit dir?“
„Natürlich.“
„Als du anriefst, hörte es sich aber weiß Gott nicht danach …“
„Kays Schwester ist aufgetaucht.“
Lucas riss die Augenbrauen hoch. „Ich wusste nicht einmal, dass Kay eine Schwester hat.“
„Ich auch nicht.“
„Eine Schwester also. Was wollte sie?“
„Stiefschwester, um genau zu sein. Das hat Ivy zumindest …“
„Die Schwester?“
„Richtig. Das hat sie gesagt.“
„Dieselbe Mutter?“
„Wohl derselbe Vater. Glaube ich. Sie tragen den gleichen Nachnamen. Oder er hat eine adoptiert.“ Damian schnaubte. „Ist nicht wichtig.“
„Was ist denn wichtig?“
„Der Rest. Das, was diese Frau, Ivy, mir sonst noch erzählt hat.“ Damian hob sein Glas und nahm einen kräftigen Schluck.
Lucas wartete eine Weile, bevor er fragte: „Willst du mir erklären, was sie dir erzählt hat?“
„Was, den Rest der Geschichte?“ Er trank noch einen Schluck. Nahm eine Handvoll Cashewnüsse aus der Schale, sah sich um. Zuckte mit den Schultern. „Der Rest der Geschichte besteht darin, dass sie von mir schwanger ist.“
Sollte Lucas’ Mund noch länger so offen stehen bleiben,
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