Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
müssen sie aber auch rennen, wenn der Stier sie verfolgt und sie es eben noch hinter die hölzernen Schutzgitter schaffen.
Da haben die Pescadores es schon leichter, die hoch oben auf ihren Pferden dem Stier von oben weitere, diesmal längere Spieße in den Nacken stoßen. Die Rösser sind geduldige Tiere, die einfach stehen bleiben, während der Stier seine Hörner in die gepanzerte Decke bohrt. Ich wundere mich, daß der starke Stier die Pferde nicht einfach umwirft. Doch sie stehen wie aus Beton felsenfest in der Arena und ertragen stoisch das wütende Stoßen des Stieres.
Die Toreros sind ausgesprochen schöne, junge Männer, mit ihren eleganten, bestickten, goldgelben Anzügen und den weißen Strümpfen. Sie haben feine, edle Gesichter, die Erben einer langen, großen Vergangenheit. Wie Ballettänzer umkreisen sie den Stier, schwenken die rosarote Muleta mit kurzen, zornigen Schwüngen auf und ab, bis der Stier losspringt und darauf zu rast. Sie weichen in kühnem, eleganten Bogen einfach zur Seite und lassen das plumpe Tier passieren, das dann dumm und erstaunt stehen bleibt und gar nicht versteht, daß es der Torero nicht durchbohrt hat. Die Toreros fixieren die Stiere mit bösen, kleinen Augen und sprechen mit ihnen. Man spürt die äußerste Konzentration, mit der sie den Stier zwingen, den Kopf nach unten zu halten in den weißen, heißen Sand der Arena, ihn zum Stand zu bannen, um ihm im „Augenblick der Wahrheit“ – wie die Spanier es nennen – die höchste Konzentration des Lebens gegen den Tod, den todbringenden Degen ins Herz zu bohren.
Der Stierkampf ist Jahrtausende alte Tradition, letztendlich der Triumph des Menschen mit seiner Intelligenz, seiner Kunst gegen die plumpe, dumme Kampfmaschine, die immer wieder, gereizt durch das bunte Geflatter der Muleta, auf den Torero einstürmt, ihn, den elegant und überlegen zur Seite springenden, immer wieder verfehlt mit seinen todbringenden, spitzen Hörnern, bis sie ermattet von ihren sinnlosen Attacken, gebannt von der Macht des Toreros, den Todesstoß empfängt. Der Barkeeper formt mit zwei Fingern seiner rechten Hand das V-Zeichen: Vinceremos – wir werden siegen! Stierkampf, die Faszination eines Landes.
Ich bin der einzige, der in dem riesigen dunklen Speisesaal – in Spanien Comedor genannt – ißt. Nie ißt man in der Bar, immer wird man in den Comedor gebeten, auch wenn man der einzige Gast ist. Man hat drei Kronleuchter für mich entzündet. Der Tisch ist festlich für vier Personen gedeckt. Der Kocht kocht für mich allein, die zwei spanischen Pilger sind, ohne zu essen, wieder in der Bar verschwunden.
Ich esse Judía verdes con Jamón – warme, grüne Bohnen mit Knoblauch – scharf gebratenen Lammkoteletts, mehr Knochen und Fett als Fleisch, mit knackigen Pommes Frites, dazu eine ganze Flasche Rotwein und Wasser für 8 Euro, der übliche Pilgerpreis. Zum Schluß gibt es noch Spiegeleier in heißem Öl. Die beiden Spanier sind doch noch zurückgekommen und vertrauen mir, da sie ja nun an meinem Tisch sitzen, an, daß sie Basken aus Vittoria, der Hauptstadt des Baskenlandes sind. Der Saal ist nun gleißend hell erleuchtet für uns drei Gäste.
In der Bar läuft um halb zehn immer noch der Stierkampf aus Madrid. Sie tragen den Torero auf Schultern aus der Arena. Das Publikum jubelt und klatscht. Die Kamera fährt die Tribünen ab. Die Zuschauer sind alle elegant gekleidet, die Herren trotz der Sonnenhitze mit Krawatte und Jackett, das nicht abgelegt wird. Die Frauen in eleganten Sommerkleidern, alle mit großen, schwarzen Sonnenbrillen. Ich vermute unter den Dargestellten die Größen der spanischen Gesellschaft, den Oberbürgermeister, hohe Politiker und Wirtschaftsbosse. Wenn ich das mit der unglaublichen Primitivität unserer Fußballstadien vergleiche mit ihren lärmenden, johlenden, pfeifenden, schlecht gekleideten Massen, für die das Spiel ein Ventil ihrer Frustration ist.
In Spanien ist der Stierkampf, auch ein Volksfest der Massen, doch ein Abbild einer alten, gehegten, vornehmen Kultur, die bei uns längst verloren gegangen ist und einer undisziplinierten Massendarstellung Platz gemacht hat.
Über den Río Tajo
Dienstag, der 23. Mai, von Casar de Cáceres
nach Canaveral, 33,7 Kilometer
Gesamt 332,1 Kilometer
16. Wandertag
Heute dringe ich tief ein in das Herz der Extremadura. Ein schneidend kalter Wind tobt über die breite, rote Piste und peitscht das Gras der gelb verbrannten Wiesen. Der Himmel ist wie immer
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