Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
öffnet sich ein Palazzo, Einblick und Zugang gewährend in die hohen, strengen Räume der Edlen einer vergangenen Zeit, ihre Gemälde, hölzernen Möbel, Teppiche auf weißen Wänden.
Hinter den Mauern sind die Jahrhunderte eingeschlossen, bewahrt für einen kurzen Einblick in eine längst verloschene und gestorbene Zeit. Cáceres – im Italienischen heißen Carceri die Kerker – der kühle Moder läßt mich schaudern. Menschen gibt es wenige, einige Reisegruppen mit Führern, keine Pilger.
Ich schließe die Augen, denke mir die Touristen weg, und höre Männer mit harten Gesichtern in stahlglänzenden Rüstungen auf schweren, braunen Pferden durch die hallenden Gassen kommen. Tore öffnen sich in den verschlossenen Mauern und fallen laut hallend hinter den Einreitenden zu, sie für immer verschließend in den stillen, ungesehenen Höfen. Die große, alte, spanische Geschichte, Extremadura, das Lied der Conqistadores, die auszogen aus den verschlossenen, schweigenden Palästen, für Spanien ein Weltreich zu erobern. Dahin, dahin ist die große, ruhmreiche Geschichte, vanitatem vanitas, nur noch neugierige Touristen durchstreifen die menschenleeren Straßen. Nur die Namen sind geblieben vom dem, was einst große Welt war: Trujillo, Badajoz, Ciudad Rodrigo.
Mittags esse ich schlecht: Trutta a la Extremadura – eine trockene, geschmorte Forelle in einer ungenießbaren, braunen Soße – mit matschigen Pommes Frites, aber mit einer ganzen Flasche Rotwein. Danach den unvermeidlichen Flan, dieses gelbe, glitschige Kunstprodukt, das die Spanier so lieben.
Auf der Plaza beim Abendessen bin ich jetzt ganz allein. Beim Carlos Tercero und meiner Zigarre bin ich ganz entspannt, ich muß morgen nicht mehr weiter. Auf jedem Turm sitzen Störche in riesigen, wagenradgroßen Nestern, und darüber toben die Mauersegler im türkisorangenen Abendhimmel. Ich beobachte Menschen: Vater, Mutter und Sohn, ganz in weiß am Nachbartisch.
Der Sohn hat eine schwarze Krawatte umgebunden, der Vater einen Riß im weißen Hemd über der Hose, sie hat blonde Haare, das goldene Kreuz steckt zwischen ihren Brüsten. Eine nicht mehr ganz junge Frau, ganz in enges glitzerndes Silber gekleidet, alles quillt, der BH aus dem Oberteil, der Slip aus der Hose, ihre Fülle ist mit einer Schnur um die Taille zusammen gehalten. Sie sind alle etwas fett, diese Spanierinnen und tragen doch die Mode der Dünnen. Das Diktat der Mode.
Die jungen Mädels ziehen eine Schau für Unterwäsche ab, die überall hervorschaut, wobei nichts zueinander paßt. Da wird lila unter gelb getragen, türkis unter rot, schwarz unter weiß. Hauptsache grell und auffällig. Die Jungen tragen Hemden und Hosen, die alle einige Nummern zu groß sind. Sie wirken wie lustige, verschlafene Tölpel, die Mädels wie verunglückte Models.
Torre de Bujaco
Sonntag, der 21. Mai, Cáceres
Ruhetag
Heute gönne ich mir einen langen Schlaf und stehe erst um neun Uhr auf. Ich telefoniere mit meiner Frau zu Hause in Frankfurt, mit den Kindern in München und Berlin und frühstücke auf der Plaza vor meiner Pension unter den Arkaden. Danach besichtige ich den arabischen Turm Torre de Bujaco und bewundere wieder einmal die maurische Tradition, die alles hier durchdringt. Das Spanische auf das Arabische auf das Römische. Dreiklang der Kulturen, Dreiklang der Geschichte. Eins steht auf dem anderen, kommt aus ihm und baut sich auf ihm auf.
Es ist Sonntag. Mich zieht es in die Kathedrale, in die die Menschen zum Gottesdienst strömen. Hinter geschlossenen Mauern öffnet sich eine schöne, weite, gotische Hallenkirche, die Altarretabel ist aus dunkelbraunem Eichenholz geschnitzt. Der Priester ist ein winziges altes Männchen in Weiß, der große Worte spricht, die ich nicht verstehe. Der kleine, weiße Mann in einem Meer von weißen Lilien vor der schwarzen Altarwand. Ich bete unter Tränen vor der schwarzen Madonna de la Misericordia, gehe mit den anderen in der großen, schweigenden Menge zur Kommunion und dann nachher noch einmal zu dem vergoldeten Santiago, den ich gestern hier fand. Gewaltig braust die Orgel, auf dem Boden liegen die alten, zertretenen Steinplatten mit den Wappen der Begrabenen.
In der Santiagokirche gibt es eine Kindtaufe. In der einschiffigen Hallenkirche steht ein schwarzes Chorgitter vor buntbemalter Retabel. Hier ist die Madonna blau mit rotem Brokatmantel und goldenem Heiligenschein. Auch sie weint mit lebensechten Tränen auf weißem Gesicht. Gestern im Museum sah
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