Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
ich 20 verschiedene Mäntel für die Virgen la Nuestra Señora de la Montana, deren Kirche hoch über Cáceres auf einem Hügel steht.
Es gibt auch eine lebensgroße Gruppe mit dem letzten Abendmahl. Es ist immer wieder von neuem überwältigend, wie die Frömmigkeit dieses Landes es versteht, die Figuren und Erlebnisse der Heilsgeschichte wie lebensecht darzustellen, so als seien wir selber Zeugen eines gerade ablaufenden Ereignisses. Santiago entdecke ich draußen noch einmal über dem Eingangsportal als kleines verwittertertes Männchen im Wappen mit Muschel, Pilgerhut, Kalebasse und Stab, 900 Jahre alt.
Mittags esse ich im Restaurant „Torre de Bujaco“ unter dem maurischen Turm auf bequemen Korbstühlen und Tischen mit roten Decken. Es gibt einen schönen Salat aus ganz kleinen, grünen Köpfen – Zorrangallo extremeno – er beginnt weiß und gelb und endet in grünen Spitzen. Zum Nachtisch „Tocinillo de cielo de los monjes con salsa de frambuescos“ – Gelée aus dem Himmel der Mönche mit einer Soße aus Himbeeren – eine süße klebrige Masse mit Honig darüber. Das Erbe Arabiens. Heute am Sonntag kommen die Spanier in großen Gruppen zum Mittagessen. Familien mit 20 bis 25 Personen aus vier Generationen – die um die Tische wieselnden Kleinkinder und die würdigen Großeltern, alle gemeinsam an einem langen Tisch, alle fröhlich und laut. Glückliches Spanien.
Abends sitze ich wieder auf der kleinen Terrasse wie gestern Nachmittag, ein goldfarbener Himmel, unter dem die Mauersegler kreischen, die Wolken glühen am vergehenden Abendhimmel, ein Kaffee, ein Brandy, eine Zigarre, wie schön ist die Welt. Die Vögel sind wie schwarze Perlenschnüre, die sich um die goldenen Wolken schlingen: „Canta libre, canta mi corazón“ singt Neil Diamond in Hot August Night. Am Nachbartisch hat ein Mädel drei Oberteile an, keines ist länger als 40 Zentimeter. Ihr Begleiter fotografiert um zehn Uhr nachts die Plaza mit Blitzlicht. Sie versucht, die drei Teile immer wieder herunter zu ziehen und die ebenso kurze Hose nach oben, da sie im kühlen Abendwind friert, was ihr aber nicht gelingt.
Der Stierkampf
Montag, der 22. Mai, von Cáceres
nach Casar de Cáceres, 11,2 Kilometer
gesamt 298,4 Kilometer
15. Wandertag
Heute habe ich nur eine kurze Etappe vor mir, 11,2 Kilometer. Deshalb gehe ich erst um neun Uhr los. Die ersten Kilometer muß ich aber erst einmal auf einer stark befahrenen Landstraße gehen, wie immer, wenn es aus den großen Städten heraus geht. Die Autos schießen wie Geschosse an mir vorbei. Ich verfluche sie. Die Hunde der Straße. Es ist auch ungemütlich kühl. Trotz des tiefblauen, wolkenlosen Himmels, an dem schon hoch die Sonne steht, pfeift ein Wind eiskalt von Norden. Ich behalte meinen Fleecepulli den ganzen Vormittag über an. Meine Füße schmerzen mir trotz des Ruhetages in Cáceres wieder, immer noch mein linkes Knie und die rechte Ferse. Mein Hühnerauge von Mérida ist doch noch nicht weg. So habe ich drei Schmerzen zu ertragen: links im Knie bei jedem Schritt einen Stich, wie von einem Messer, dann rechts beim nächsten Schritt den gleichen Stich in der Ferse und dann noch die Nadel im kleinen Zeh. Wie gut, daß ich meinen Wanderstab habe, auf den ich mich stützen und das Bein entlasten kann. Jetzt würde ich zwei brauchen.
Morgens früh, wenn es noch kalt ist, schmerzt es besonders. Dann sind die Muskeln und Sehnen noch kalt und steif. Erst ab elf Uhr, nach zwei Stunden, wenn sie warm gelaufen sind, wird es besser. Warming up, nennen es die Sportler. Ich sollte vielleicht auch Morgengymnastik machen, aber dazu bin ich zu faul. Ich gehe lieber gleich los. So muß ich die Schmerzen eben ertragen. Man muß auch einen stoischen Gleichmut entwickeln auf dem Weg. Nur so kann man die Entbehrungen und Strapazen des endlosen Gehens ertragen.
Die Landschaft ist genau so öde und leer, wie vorgestern vor Cáceres. Die Städte sind hier immer wie große, weiße Kleckse in der menschenleeren Einöde. Vorher ist nichts und nachher auch nichts. Unvermittelt beginnen die ersten Häuser an der asphaltierten Straße. Die Kiespiste hört am ersten Haus unvermittelt auf und geht als asphaltierte Straße weiter. Ohne Übergang beginnt die Stadt.
Nicht wie bei uns in Mitteleuropa, wo sie sich allmählich entwickelt aus Randsiedlungen, Vororten, Gewerbegebieten. Hier gibt es nur diese staubige, verbrannte Wüstensteppe und dann unvermittelt die steinige, saubere, gepflegte Stadt, die
Weitere Kostenlose Bücher