Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Fenster meist mit Läden geschlossen, im Erdgeschoß mit schwarzen daumendicken Eisengittern geschützt. Eine schöne, ruhige, vornehme Stille liegt über diesen Städtchen, die in den Jahrhunderten ihrer Tradition dahinschlummern.
Abends sitze ich noch mit Hans und Annique in der Bar Isidro und esse mit ihnen dieses schöne, zarte Fleisch der Ibéricos, wie man sie hier nennt, das sind diese halbwilden, grauen Schweine, die ihr Leben lang unter den Steineichen leben und deren Eicheln fressen, wodurch sie dieses köstliche, magere Fleisch bekommen, das die Spanier und wir so schätzen, nach schwarzer Erde und den moorigen Früchten der Bäume schmeckend, so ganz anders als das fette, wäßrige Fleisch unserer rosa Hausschweine, die in ihren dunklen, luftlosen Ställen mit Kraftfutter aufgefüttert werden.
Die vier Reiter
Sonntag, der 7. Mai, von Castilblanco de los Arroyos
nach Almadén de la Plata, 30 Kilometer
Gesamt 70,8 Kilometer
3. Wandertag
Heute ist eine lange Etappe, 30 Kilometer, da heißt es früh aufstehen. Die meisten sind schon weg, als ich um halb acht in der Bar gegenüber der Tankstelle, die schon geöffnet hat an diesem Sonntagmorgen, ein schnelles Frühstück zu mir nehme, Tostados, Weißbrot mit Olivenöl in der Pfanne gebraten mit süßer Marmelade, dazu den üblichen Café Solo, einen frisch gepreßten Orangensaft und ein eiskaltes sprudelndes Wasser – Agua con gas. Heute habe ich eine unangenehme Strecke vor mir, 16 Kilometer auf der Landstraße, das sind vier Stunden Gehen auf hartem Asphalt, die längste Straßenstrecke, die ich jemals gewandert bin. Es ist kaum Verkehr an diesem Sonntagmorgen, das schwarze Band windet sich kurvig auf und ab durch die weite Wiesenlandschaft. Vor mir erkenne ich die bunten Punkte meiner Mitpilger, die vor mir aufgebrochen sind. Ab und an überholen mich grellbunte Rudel eifriger Radfahrer, die an diesem Sonntagmorgen auf ihren gestylten Rennmaschinen dem spanischen Nationalsport frönen. Wie elegant flitzen sie dahin, während ich am Teer der Straße zu kleben scheine. Ich zähle die weißen Kilometerpfosten, die alle hundert Meter am Straßenrand stehen – 10 von ihnen machen 1 Kilometer, dann springt die Zahl von 1 auf 2. Geduldig stapfe ich noch frisch an diesem kühlen Morgen durch das immer schöner werdende Land.
Die Monotonie der Straße wird ausgelöscht durch ein Blumenwunder, wie ich es noch nie erlebte. Zu beiden Seiten der Straße wellen sich endlose Blumenteppiche aus weißen, gelben und blauvioletten Blüten, Millionen von flirrenden Lichtpunkten in dem wogenden Grasmeer. Darüber kreisen mit schwarzen Schatten die Stein- und Korkeichen, die wie grünschwellende Schiffe auf diesem Meer dahingleiten. Es sieht aus wie ein großer Park, ein Landschaftsgarten, wie komponiert von einem Gartenplaner wechseln sich gelbe Teppiche mit weißen und lilablauen. Nie sah ich Großartigeres in wilder Natur. Dies ist der andalusische Bergfrühling, ein kurzer Rausch Anfang Mai nach den ergiebigen Regenfällen des Aprils, die dieses Paradies explodieren lassen für zwei bis drei Wochen, bis es dann nach Versiegen des Regens in wenigen Tagen zu einer gelben Wildnis verdorrt. Berauscht tanze ich auf meiner Pilgerstraße durch dieses himmlische Geschenk.
Ab und an komme ich jetzt an den Eingangstoren der großen Fincas vorbei, die sich in dieser weiten Landschaft in unglaublichen Dimensionen erstrecken, Weideland für die saftigen Rinder- und Schafherden. Eine grellweiße circa 50 Meter lange Arkadenwand erstreckt sich längs der Straße, ein Tor in der Mitte, überhöht von einem Giebel. „El Tinajar“ lese ich in schwarzen schmiedeeisernen Lettern über dem Gittertor, das fest verschlossen ist. Dahinter verliert sich eine endlose, schnurgerade Kiesallee im Nichts der Hügel. Die Finca selbst ist nicht auszumachen, sie liegt mindestens noch fünf Kilometer hinter den Hügeln, diese Besitztümer sind so groß wie bei uns eine ganze Stadt. Der weiße Brunnen vor dem Tor ist wohl nur zur Zierde da, Wasser führt er schon lange nicht mehr.
Ein älteres spanisches Ehepaar bittet mich am Straßenrand, ein Foto von ihnen zu machen. Sie posieren sich vor dem rostigen Zaun, der die blumigen Wiesen von dem gelben Gestrüpp längs der Straße trennt. Entzückt zeigt der Mann mir danach das Display, wo die beiden, selig lächelnd, vor dem rostigen Eisengitter stehen, das die Blumen verschluckt. Als sie mich dann auch noch fotografieren wollen, lehne ich dankend
Weitere Kostenlose Bücher