Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
sternklaren, wolkenlosen Nächten. Erst um elf Uhr wird es merklich wärmer und dann ab zwei Uhr gnadenlos heiß. Die Sonne brennt bereits jetzt im Mai mit 30 – 35 Grad vom wolkenlosen Himmel. Die Pisten sind lang und staubig und trocken, kein Wald, kein Baum spendet Schatten, im Wanderführer steht: „Das Wasser wird knapp. Auf 20 Kilometer ohne Wasser und mit hohen Temperaturen sollten Sie vorbereitet sein. Auf den nächsten 14 Kilometern gibt es keine Möglichkeit, Wasser nachzufüllen!“ Ich komme allerdings mit nur einem Liter pro Tag aus, da ich so wenig wie möglich trinke, nur alle drei Stunden einen Schluck, mittags meinen Wein. Man sollte in den heißen, südlichen Ländern so wenig wie möglich trinken, wer viel trinkt, schwitzt auch viel, der Körper läßt all das überflüssige Wasser wieder heraus. Ich trinke wenig und schwitze deshalb auch wenig.
Schön ist es, in den frischen, noch dunklen Morgen hinauszuwandern. Die Wiesen sind noch feucht vom Tau, die Luft bewegungslos und kristallklar, die letzten Sterne blinzeln noch vom eisblauen Himmel, ein halber Mond hängt schräg über den Hügeln. Zartes Pfirsichrosa schwebt über den nachtschwarzen Feldern, zerfließt in warmem Orange, goldene Blitze schießen hinter dem Horizont in das türkise Blau, bis dann lautlos und ewig gleich die Sonne wie eine Messingscheibe groß und glühend über das schwarze Land gleitet, Zentimeter um Zentimeter sich nach oben stemmt, das Türkis verdrängend und anzündend mit ihrem glühenden Schein. Es ist frisch, ich ziehe den Fleecepulli dicht an meinen Körper, die Stunde des Sonnenaufgangs ist die kälteste der Nacht. Bis dann die ersten Sonnenstrahlen über die gefrorene Landschaft lecken und die Wärme ahnen lassen, die bald kommen wird.
Diese frühen Morgenstunden sind für mich die schönsten des ganzen Tages. Schwerelos gleite ich durch die noch jungfräuliche Natur des Tageserwartens, wo alle Stille den Atem anhält und nichts die Ruhe stört. Einsam und allein mag ich gerne sein in diesen ersten Morgenaugenblicken. Bald hole ich einen jüngeren Mann ein, mit dem ich nun gemeinsam weiter gehe. Wir steigen allmählich auf, der Weg verläßt die Ebene des Guadalquivir auf seinem Aufstieg in die Sierra Morena. Rechts und links bestelltes Land, Olivenbäume auf roter Erde, in endlosen Reihen bis zum Horizont, nicht die kleinen Terrassen und Äckerchen wie bei mir in Italien, hier ist alles groß und weit und gewaltig. Schwarze Schläuche verbinden die Bäume, hier muß den ganzen Sommer gewässert werden, ohne Wasser gedeiht hier nichts, der letzte Regen fällt Anfang Mai, bis Oktober regnet es nicht mehr. Der Weg ist gesäumt mit endlosen Kissen von weißen, gelben, blauen Blumen, eine betörende Natur in prangender Fülle. Hier wird nichts giftig weggesprüht wie bei uns, um eine saubere kontrollierte Natur zu bekommen, hier darf alles wuchern wie es will. So schlendern wir beide durch diese berauschende Natur der Fülle, erzählen von unserem Weg und blicken in das verblassende Tal des großen Flusses, den wir hinter uns zurücklassen.
Auf der ersten Anhöhe bleiben die Plantagen zurück, Wiesen breiten sich aus auf rollenden Hügeln, grün noch, von Blumenteppichen bedeckt, über denen gründunkle Steineichen in kleinen Grüppchen stehen. Wälder gibt es hier unten nicht mehr. Die Bäume vereinzeln sich, um das wenige Wasser zu sammeln. Der Weg schlängelt sich als staubige, gelbe Piste durch die Wiesen unter den Bäumen hindurch. Die Landschaft erinnert an die Savannen Ostafrikas.
Unterwegs treffen wir zwei Deutsche aus Bayern, die eine kleine Rast am Wegesrand machen. Wie immer bleibt man stehen, redet über sich und den Weg. Ich erzähle über mein Buch, das ich über den Camino del Norte geschreiben habe, der Bayer notiert den Titel und meine Adresse, er will es sich besorgen, wenn es erschienen ist. Wir Jakobspilger sind immer interessiert an den Wegen der anderen. Er fragt mich noch, warum ich mit Stock laufe, hier auf diesen ebenen Wegen. Er benutze Stöcke nur in den Bergen, wo es steil und gefährlich sei. Ich antworte ihm, daß der Stock mein drittes Bein sei und ich nie ohne laufe, als Halt, wenn ich stolpere oder abwärts muss in unebenem Gelände. Ich sollte heute Abend noch an seine Worte denken.
Heute ist eine kurze Etappe, 5 Kilometer vor Castilblanco erreiche ich die Landstraße. Vor dem Ort liegt linkerhand ein Restaurant, in dem um zwei Uhr noch fröhliche Familien speisen. Ich stelle
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