Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
gleich ein Bier und frage nach einem Zimmer. Leider, leider, bedauert der freundliche Kellner, sei morgen Ruhetag, deshalb könne ich für heute Nacht kein Zimmer bekommen. Aber essen könne ich selbstverständlich heute Abend. Ich reserviere mir gleich einen Tisch. Da gehe ich eben rüber in die Posada de las Misas. Meinen Rucksack lasse ich lieber draußen. Das Haus sieht so vornehm aus, die nehmen vielleicht keine Pilger. Hier ist alles fein und modern eingerichtet, eine chromblitzende Bar unter pfirsichfarbener Decke. Das Hotel ist leer, natürlich kann ich ein Zimmer bekommen, 70 Euro die Nacht. Das muß ich mir erst einmal angucken.
Da bin ich aber weg. So etwas Elegantes habe ich lange nicht mehr gesehen. Das Zimmer ist komplett schwarz mit knallrotem Teppich, rot bezogenem Bett, roter Ablage in Chinalack. Und erst das Bad. Ebenfalls alles schwarz mit grün satiniertem Glas. Da überlege ich nicht lange, da wird der Architekt in mir wach. Nach all dem Elend der letzten Tage endlich mal etwas Ästhetisches. Ich habe sowieso keine Wahl und in die Unterstadt an der Carreta will ich nicht. Da zahle ich eben mit meiner Kreditkarte.
Und dann die dreckigen Sachen auf den schönen roten Teppich, die stinkenden Kleider aus und hinein in das duftende, dampfende Bad. Gestern ein Bettler, heute ein König, das ist der Jakobsweg. Ich danke meinem Heiligen, der das wieder toll eingerichtet hat für mich. Mittlerweile beginnt es stark zu regnen, ein Schauer rauscht hernieder, ich schlüpfe in mein hinreißendes rotes Bett, nackt und rosig und duftend und schlafe ein Stündchen.
Dann mache ich mich fein und besichtige die alte Ritterburg aus dem 15. Jahrhundert. Ich bin der einzige Besucher und erklettere den mächtigen Koloß auf allen Treppen und Umgängen. Diese Burg bewachte einst den wichtigen Durchgang von Galicien nach Kastilien und ist so gigantisch wie alles hier in Kastilien. Dreimal so dick die Mauern wie normal, doppelt so hoch die Tore, kalt, ernst, gewaltig, schmiedeeiserne Gitter mit armdicken Sprossen, Ketten, Riegel, Beschläge, alles vom Größten und Festesten. Kastilische Trutzburg.
Die Kirche ist nicht minder trutzig, eine Festung Gottes, meterdicke Mauern, fensterlos, ein gotisches Spitzportal mit archaischen, verbissen betenden Königen und Königinnen in Schuppengewändern. Hier kommt keine Freude auf, das Leben ist eine Qual, ewiges Leid. Ich erinnere mich an Zamora und die schwarzen, schweigenden Kellnerinnen. Innen die gleiche Wucht in Gold. Fünf goldene Renaissancealtäre. Dreimal Maria: Mater Dolorosa mit schwarzem Kleid und altem Gesicht, sieben goldene Messer vor der Brust. Über ihr der Heilige Rochus mit nacktem Knie und Pestbeule. Ave Maria – als junges Mädchen mit zwei Knaben am Gewand in blau und gold. Ohne Namen hinter Glas, jung mit Korkenzieherlocken, blauer Mantel und goldene Flammen an den Händen, auf einer blauen Kugel stehend mit einer Schlange. In der Kirche liegt ein neuer Holzfußboden, vor dem Altar liegen alte Grabplatten unter Glas. Der Chor hat ein gotisches Netzgewölbe, im Schiff spannt sich ein schwarzbrauner Holzdachstuhl über drei weißen Bögen.
Der Regen hat aufgehört. Ich streife durch die Gassen, die steil hinabführen, mit alten Steinhäusern, in die Neustadt, die sich überraschend vor mir auftut. Das hatte ich gar nicht erwartet. Eine moderne Stadt mit Hotels, Post, Supermärkten, Andenkenläden. Ich dachte, da oben meine alten Paläste, das sei die Stadt, eine vornehme, stolze, alte Stadt ohne Geschäftsrummel. Wie kleinlich und dumm von mir, so zu denken. Nur ist das alles etwas billig hier unten, allerdings hätte ich hier für 30 Euro übernachten können. Jetzt ist kaum was los, an den vielen Läden erkenne ich aber, daß hier im Sommer ein Mordsrummel herrschen muß. Ein Touristenort. Ich kaufe ein für morgen, telefoniere mit zu Hause und flüchte wieder in die Oberstadt zu den blumenstrotzenden Balkonen, den rosendekorierten Loggien, diesem Märchenzauber einer alten, behüteten Stadt.
Ich ändere meinen Reiseplan. Eigentlich wollte ich in Pueblo de Sanabria einen Ruhetag einlegen, seitdem ich nun seit Zamora schon wieder sechs Tage unterwegs bin. Ich wollte ja immer nach spätestens 5 bis 6 Tagen einen Ruhetag einlegen, um meinen Körper zu erholen. Da das Wetter aber schlecht ist und es in diesem grauen Ort nichts mehr zu sehen gibt und er irgendwie auch einen verschlossenen und unfreundlichen Eindruck macht, beschließe ich, morgen
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