Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
langgezogenen, mächtigen Halbrund des Dammes liegt spiegelnd in der Nachmittagssonne die unendliche Wasserfläche des Embalse Nuestra Señora da Argavanzal – auch die Stauseen sind in diesem Land nach Heiligen benannt. So lieblich, so entrückend, so spiegelblau der See, ich bin der einzige Mensch heute hier am Sonntagnachmittag. Sanft füllt er die Buchten aus, die früher das Tal begrenzten, in dem tief unten der Tera durch seine sumpfigen Auenwälder floß. Ich denke, bei uns wären heute Nachmittag Flotten von Seglern, Urlaubsdampfern, Tretbooten unterwegs, Strandbäder wimmelten von spaßigem Gelärme, Ausflugsrestaurants wären besetzt von fröhlichen Urlaubern. Hier in der großen Leere ist nichts und niemand. Ein Wasserreservoir in seiner unentdeckten Schönheit.
Ich suche mir eine Bucht aus mit goldgelbem Sandstrand, den Rucksack unter das Ufergebüsch, die Sachen ausgezogen bis auf die nackte Haut und dann hinein in die kühle, moorige Flut. Das Wasser schmeichelt samtig, streichelt mit nassen Fingern die erhitzte Haut, ich bin der erste und einzige Mensch in Gottes Natur. Nackt wie Adam grabe ich mich in den warmen Sand, liege und verträume die Zeit.
Ewig möchte ich so liegen in der warmen Sonne, dem schmeichelnden Wind, der von den Hügeln die Wasseroberfläche kräuselt. Weiter muß ich, ich verwerfe den Gedanken, hier ein Biwak zu machen. Ich habe auch kaum noch etwas zu essen und zu trinken. Den Steppenwolf zieht es wieder an den geliebten Tisch der Menschen.
Total erschöpft erreiche ich Rionegro del Puente. Am Zusammenfluß von Rionegro und Río Tera steht verloren ein Angler am Ufer, halbwüchsige Kinder springen von einer Betonmauer ins Wasser. Ich überquere den Fluß auf der Betonfurt und steige hinauf zur Kirche. Hier gibt es gegenüber eine neue geräumige Herberge im braunen Sandsteingemäuer eines alten Hofgebäudes. Tom und die verschlossenen Spanier sind schon da. Gegessen wird in der Bar Central. Später sitze ich noch um halb zwölf vor der Bar in der warmen Nacht, die anderen sind schon zu Bett gegangen. Wieder ein Aguardiente zuviel. Nach den langen Tagen kann ich mich nie lösen und träume in die Nacht hinein.
Der Waldbrand
Montag, der 12. Juni, von Rionegro del Puente
nach Palacios de Sanabria,
29,5 Kilometer, gesamt 703,1 Kilometer
32. Wandertag
Das Wetter ist umgeschlagen. Nach einem Gewitterguß gestern Nacht ist es heute morgen feucht, kühl, diesig und grau. Es tut mir wieder alles weh, ich fühle mich erschlagen und erschöpft. Die beiden Spanier haben schon um halb sechs laut raschelnd und knisternd die Herberge verlassen. Die Bar ist geschlossen, es gibt kein Frühstück. Ich schleppe mich humpelnd durch langweilige, graue, struppige Hochheide nach Mombuey. Die Wolken hängen tief. Bis Pueblo de Sanabria sind es 33 Kilometer, das schaffe ich heute keinesfalls in meinem Zustand. Anita hatte uns einen Tip gegeben. In Palacios de Sanabria, nur 20 Kilometer von Mombuey, vermiete Teresa Zimmer, dort könnten wir übernachten. Sie gab Tom die Telefonnummer, ich würde ihn dort treffen.
Vor Mombuey sehe ich schon von weitem ein weißleuchtendes Hotel an der Carretera. Das ist mein Ort. Ich trinke zwei Kaffee, ein Wasser und esse ein großes Bocadillo mit Schinken. Dann geht es mir besser. Laut schwatzend betreten wild kostümierte deutsche Touristinnen die Bar, wackeln eine nach der anderen zum Klo, trinken dann noch schnell ein Wasser oder einen Kaffee und verschwinden wieder in ihren klimatisierten Bus, der mit laufendem Motor draußen wartet. So kann man auch reisen.
Der Himmel zieht sich immer mehr zu, ich komme jetzt doch tiefer in die Berge hinein, im Norden ist hinter diesigen Wolken die Sierra de la Cabrera zu ahnen, die Sierra de la Culebra steht noch deutlich im Süden. Unter mir, durch kleine Wäldchen verborgen, zieht der Río Tera durch die aufgestauten Buchten des Stausees. Hier ist eine ganze Folge von Stauseen entstanden: Embalse Nuestra Señora de Argavanzal, wo ich gestern noch in der warmen Sonne badete, Embalse de Valparaiso und Embalse de Cernadillo. Dieses Tal ist eine alte Völkerstraße, wohl noch aus keltischen Zeiten, die einzige Verbindung vom Atlantik, von den galicischen Hafenstädten Vigo und Pontevedra über die Cordillera Cantábrica ins Landesinnere. Auch heute führt hier die Autobahn neben der Carretera und der Eisenbahn durch das immer enger werdende Tal und über den Paß Portilla de la Canda.
Auch mein Weg führt heute auf dem
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