Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Privatwagen. Ich möchte nur wissen, was ich diesen Leuten hier getan habe, daß sie ständig so mürrisch und unfreundlich sind.
In 10 Minuten sind wir über die Carretera in Requejo, das Tal ist verhangen mit weißgrauen Nebelschleiern. Mein Fuß schmerzt auch wieder sehr, kühle, feuchte Luft am Morgen ist immer schlimm für die harten, kalten Muskeln und Sehnen. Und doch, trotz der Schmerzen, umfaßt mich bald ein unerwarteter Zauber. Ich steige durch das schönste Bergtal, das man sich vorstellen kann. Dichte, grüne, uralte, riesige Eichen überschatten ein mystisches Halbdunkel, aus dem giftig grüner Farn den Hang hinunterkriecht.
Der Weg ist ein Pfad zwischen bemoosten Feldsteinmauern, links zum Tal hin fließen gelbgrüne Wiesen zwischen dunklen Hecken zur rauschenden jungen Tera hinab, die glucksend und plätschernd über Basalt und Kies zu Tale fließt. Ein Urwald, übersponnen von Efeu, Lianen, wucherndem Unterholz. Es riecht faulig nach nassem Gras, dumpfem Moos, verfaultem Blattwerk. Der Weg hat den Berg aufgeschlitzt. Aus dunklen Schichten quillt von überall klares, glashelles Wasser, Bächlein springen über bemooste Felsen aus steilen, engen Schluchten, kleine Waserfälle sprudeln aus schwarzdunklen Höhlen, der Weg wird selbst zum Bach, sammelt die klaren Wasser und entläßt sie nach 100 Metern durch ein Loch in der Mauer auf die Wiese zum Fluß.
Ich muß aufpassen, kann ich doch streckenweise nur über die grün bemoosten Steine weiterkommen, über die ich von Block zu Block balanciere, mühsam mein Gleichgewicht haltend mit dem schweren Rucksack, der mich hinabzuziehen droht. Ohne meinen Wanderstock, mein drittes Bein, wäre ich hier verloren. Es ist ein Märchen, eine Zauberwelt fernab der Menschen. Wo ich doch vor drei Tagen mich noch über glühende, staubige Pisten geschleppt habe. Alle Müdigkeit, alle Schmerzen sind vergessen, ich muß an Galicien denken, das nun nicht mehr fern ist mit seiner märchengrünen, feuchten Amphibienwelt.
Am Talende führt mich eine steile Kiespiste aus diesem Zaubertal heraus nach oben, wo ich hoch über dem dunklen Tal an der leeren, alten Nationalstraße, die nicht mehr befahren wird, mein Mittagsmahl einnehme. Weit geht der Blick in die Ebene der Meseta, aus der endlos das gewundene, steile Band der Autobahn emporkriecht mit ihren Spielzeugautos. Ich sehe auch die Spur der Eisenbahn, die sich den gelben Hang hinaufwindet und unter dem Paß in ihrem dunklen Tunnel verschwindet. Im Süden hinter den hohen, gelben, baumlosen Bergen liegt Portugal.
Ich bin fast fertig, da prasselt ein Regenschauer nieder aus dunklen Wolken, die das Tal hinaufkriechen. Schnell den roten Poncho über und weiter geht’s. Auf atemberaubender Brücke quere ich 300 Meter hoch das steile Tal der Tera, dahinter muß ich durch den Padornelo Tunnel 425 Meter auf schmalem Fußweg neben der Fahrbahn laufen, am anderen Ende scheint bereits wieder die Sonne. Ich bin jetzt 1250 Meter hoch, nun geht es wieder abwärts in ein ebensolches Märchental wie heute Morgen. Nun habe ich die mittelalterliche Paßstraße wieder mit ihrem alten Pflaster unter riesigen, alten Kastanienbäumen. Die Orte sind noch älter, aus weißgrauem Granit, wie in Galicien. Politisch gehört dieses Tal noch zu Kastilien, geografisch, landschaftlich und kulturell bereits zu Galicien. Die Mauern sind überrankt mit weißen und roten, faustdicken Rosen, die meterhoch die braunen Wände emporklettern. Erinnerungen an letztes Jahr auf dem Camino Primitivo im Norden.
In Aciberos verlaufe ich mich. Im Führer steht: „Am Ortsanfang geht es geradeaus 300 Meter ins Zentrum zu einem kleinen Platz.“ Ich erreiche einen kleinen Platz am Ortsanfang, überlese aber die 300 Meter und folge dem Führer: „Hier geht man halblinks und verläßt das Dorf nach 100 Metern. Durch einen Hohlweg geht es 150 Meter hinab zu einer Weggabelung und dort halblinks weiter bergab. Auf einem schönen, jahrhundertealten Weg, der teilweise noch gut das alte Steinpflaster bewahrt, geht man 850 Meter hinab, bis unten auf einer Brücke der Bach Pedro überquert wird.“
Ich denke, ich bin auf dem richtigen Weg, alles stimmt – halblinks, Hohlweg, Weggabelung, halblinks bergab, jahrhundertealter Weg. Nur ist es der falsche, was ich nach 500 Metern merke, als dieser, sich immer mehr in den Wiesen verlierend, schließlich im Buschwerk auflöst. Also, alles wieder zurück zu dem kleinen Platz. Aha, da geht ja ein anderer Weg halblinks und
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