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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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und Grün, Felder, Wiesen, Bäume und Büsche und in der Ferne ein paar Taunushügel. Und Schönmüllers in ihrer Villa gleich neben dem Mietshaus waren ja so nett zu den »Ostflüchtlingen«, hatten doch auch sie nach dem Krieg ganz von vorn anfangen müssen. Ihr Schicksal, so beteuerten sie bei Kaffee und Kuchen, erschüttere sie. Und dabei machten sie – er: dünnes, graues Haar, farbloses Alt-Männer-Gesicht; sie: vorstehendes Gebiss, blass, Kassenbrille – grundehrliche Gesichter und waren, wenn sie an die »armen Kinder« dachten, zu Tränen gerührt. Aber nun würde ja bald alles gut werden, trösteten sie ihre neuen Mieter, jede Zeit der Prüfungen, das wüssten sie aus eigener schmerzlicher Erfahrung, sei einmal beendet.
    Kaum jedoch war der Mietvertrag unterzeichnet, kaum waren sie mit den ihnen von Fränze großzügig überlassenen und den wenigen auf Ratenkredit gekauften Möbeln eingezogen in die neue Wohnung, da klingelte es an der Tür. Hannah war allein zu Haus. Wer stand vor ihr? Ernst Schönmüller. Mit verlegenem Gesicht teilte er ihr mit, dass er sich leider gezwungen sehe, vom übernächsten Ersten an die Miete zu erhöhen. Er habe nämlich gerade die Vorausberechnung für die Nebenkosten des kommenden Jahres erhalten und sehe sich außerstande, diese nun doch wesentlich höher als erwartet ausgefallenen Beträge nicht an die Mieter weiterzugeben. Tja, sei ja leider alles so teuer heutzutage.
    Ein Weilchen starrte Hannah ihn nur ungläubig an, dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. Sie hatte noch immer keine Arbeitsstelle, ihr Arbeitslosengeld und das wenige, was Lenz verdiente – er arbeitete zu jener Zeit als Bauhelfer bei einer kleinen Straßenbaufirma – reichte gerade zum Leben. Nie gekannte Existenzängste stiegen in ihr hoch, nahmen ihr die Luft und ließen sich auch später, als der von dieser Nachricht nicht weniger erschütterte Lenz ihr Mut machen wollte, nicht vertreiben.
    Sollte das ihr neues Leben sein? Ja, waren sie für ein solches Leben denn überhaupt geeignet?
    Lenz erkundigte sich bei einem mit Fränze befreundeten Rechtsanwalt. Sie hatten doch gerade erst einen Mietvertrag unterzeichnet, wie konnte da so rasch die Miete erhöht werden? War das überhaupt rechtens?
    Es war rechtens. Schönmüllers hatten ihre Unerfahrenheit im westlichen Mietrecht ausgenutzt. Mit einer relativ niedrigen Miete hatten sie sie geködert, um auf diese Weise die schwer vermietbare Parterrewohnung direkt an der viel befahrenen Bundesstraße an den Mann zu bringen; jede Klausel über eventuell fällige Mieterhöhungen hatten sie still beiseitegelassen.
    Einige Tage lang hatte Lenz Schwierigkeiten, in den Spiegel zu blicken. War er wirklich ein solcher Idiot? Auf solche Bauernfängerei hereinzufallen!
    Doch wie hätte er mit solchen Tricks rechnen sollen? Bisher hatte er nur seriöse, genormte Mietverträge kennengelernt. Nie zuvor in seinem bisherigen Leben war ihm die Miete erhöht worden. Sein Staat hatte die Mieten festgelegt und darauf geachtet, dass sie niedrig, oft sogar viel zu niedrig waren und die Leute nicht betrogen wurden. Alle bisherigen Mietverträge hätte er mit verbundenen Augen unterzeichnen können. Ja, je länger er über das Ganze nachdachte, desto mehr fand er sich entschuldigt – und war überzeugt davon, dass Hannah und ihm noch öfter Lehrgeld abverlangt werden würde. Sie kamen aus einer ganz anderen Welt, mussten sich erst zurechtfinden. War das so ungewöhnlich?
    Hannah traf diese Schlappe tiefer – und nachhaltiger. Sie machte ihm und sich Vorwürfe. Wie hatten sie nur einen solchen Mietvertrag unterzeichnen können! Wer hatte ihnen denn da auf den Kopf gehauen, konnten sie plötzlich nicht mehr lesen?
    Aber dann fand Hannah doch noch Arbeit. In einer privaten Kurklinik. Der kleine Schönheitsfehler: Die Ärzte verdienten bombastisch, sie, Sekretärin und Sachbearbeiterin mit über zehnjähriger Berufserfahrung, blieb unterbezahlt.
    Später allerdings, kurz bevor sie fluchtartig wegzogen aus dieser Gegend, wäre nicht nur ein weitaus höheres Gehalt, sondern auch ein eigener Dienstwagen möglich gewesen. Da wusste man, was man an ihr hatte, und ärgerte sich über die zuvor gezeigte Knausrigkeit.
    Mal wieder Lehrgeld bezahlt! Wenn auch diesmal auf beiden Seiten. Im Westen sind gute Arbeitskräfte eben nur dann wirklich gut, wenn sie sich auch gut verkaufen können.
    Und auch Lenz fiel es schwer, eine seinen Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zu finden.

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