Auf der Sonnenseite - Roman
Seine genaue Berufsbezeichnung lautete »Ökonom für Medizintechnik«. Im Westen unbekannt. Wo er sich auch vorstellte, über diese Berufsbezeichnung stolperte man.
Der Erste, der damit nichts anzufangen wusste, war der zuständige Sachbearbeiter auf dem Limburger Arbeitsamt, ein hagerer, schon etwas älterer Rheinländer mit spärlichem Haarkranz um die spiegelblanke Glatze und länglicher, fröhlicher Weintrinkernase. Lange sah er Lenz nur interessiert an, der Mann, dessen Dialekt Lenz bisher allein aus dem Fernsehen kannte, dann kam es: »So! ›Ökonom‹ sind Sie? Was ist denn das für ’n Beruf? Hat das was mit Landwirtschaft zu tun?«
»Nein«, klärte Lenz ihn auf. »Da gab’s nur sehr viel früher mal einen Zusammenhang. Landwirte sind heute Agronome. Ich habe Ökonomie – also Volkswirtschaft – studiert.«
»Und was hat das mit Medizintechnik zu tun?«
Geduldig erklärte Lenz, dass er zusätzlich zu seinem Wirtschaftsstudium in Medizintechnik ausgebildet worden und mehrere Jahre Leiter für Ein- und Verkauf eines großen Versorgungsdepots auf ebendiesem Gebiet für die Bezirke OstBerlin und Frankfurt/Oder gewesen sei. Danach sei er dann in den Außenhandel übergewechselt, um als Exportkaufmann auf dem gleichen Fachgebiet tätig zu werden. Mit Reisen nach Asien und Nordafrika.
Den fröhlichen Weintrinker beeindruckte das nicht. »Und was wollen Sie dann hier?«, fragte er missgelaunt. »Dann ging’s Ihnen dort doch gut.« Und als der über diese Äußerung verblüffte Lenz ihn daraufhin nur lange anstarrte, bekam er mal wieder zu hören, dass im Westen auch nicht alles Gold sei, was glänze, und es in der DDR doch wenigstens noch Zucht und Ordnung gäbe. »Keine Drogen, keine Gammler, keine langmähnigen Revoluzzer, die sich auf Kosten von Vater Staat ein angenehmes Leben machen und gleichzeitig denselben Staat mit aller Gewalt bekämpfen.«
Er schnaubte ärgerlich, der plötzlich so aufgeregte Mann hinter seinem allgewaltigen Schreibtisch. »Ist doch schizophren, das Ganze, nicht wahr? Da fragt man sich doch, wozu und vor allem für wen man all die Jahre nach dem Krieg so hart geschuftet hat!«
Hatte er Probleme mit seinen Kindern? Wollten die nicht so, wie der Herr Papa es gern gesehen hätte? Lenz zog es vor, sich in diesen Familienstreit lieber nicht einzumischen, und sein Gegenüber nutzte die Gelegenheit, ihn über die strapazenreichen Wiederaufbaujahre nach 45 aufzuklären. Mit wie wenig man angefangen habe! Und wie mühselig diese Trümmerjahre waren! Wie knapp das Geld war! Doch welchen Elan, welchen Fleiß, welchen Mut man aufgebracht habe! Ja, und wie man heute dastehe! Ihr im Osten habt das nicht geschafft, so lautete die unterschwellige Botschaft.
Lenz, über die wirtschaftliche Entwicklung der beiden deutschen Staaten nicht uninformiert, hätte am liebsten entgegnet: Ihr, die von den West-Alliierten als Bollwerk gegen den Kommunismus gehätschelten und gepflegten Adoptivkinder der freien Welt, wie kommt ihr dazu, auf uns, die mit Reparationsforderungen überschütteten und nicht gerade mit Rohstoffen und Industrielandschaften gesegneten, politisch unterdrückten Stiefkinder der ruhmreichen Sowjetunion, herabzuschauen? Doch wozu sich mit diesem Adenauer-Verschnitt anlegen? War ihm ja deutlich anzusehen, dass er ihn, den Neu-Bundesbürger, verdächtigte, sich auf Kosten seiner so viel tüchtigeren Landsleute ein schönes Leben machen zu wollen in dieser seiner wunderbaren Bundesrepublik, an der nur ein paar Spinner wie seine Kinder und deren Gesinnungsgenossen etwas auszusetzen hatten. Nein, er war nicht gekommen, um sich solche Vorträge anzuhören. Er musste sich hier anmelden, um Arbeitslosengeld überwiesen zu bekommen, solange er noch keinen Job gefunden hatte. Darüber wollte er etwas hören, nichts anderes.
So unterbrach er den geplagten Vater, sagte, dass seine Zeit bemessen sei, da er sich noch bei einer Firma vorstellen wolle, die ihn für den Nachmittag zu einem Gespräch eingeladen habe, und verwies auf die notwendige Anmeldung, ohne die er keine »Stütze« bekommen würde.
Gleich blickte der fröhliche Weintrinker noch mürrischer. »Wie viel haben Sie im Osten denn zuletzt verdient?«
Seufzend tippte Lenz auf das bräunliche Arbeits- und Sozialversicherungsbuch der DDR, das schon seit längerer Zeit auf dem Schreibtisch lag und in dem der fröhliche Weintrinker bereits ein paarmal geblättert hatte. »Steht alles da drin.«
»Ja, aber das sind Ostgehälter! Die
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