Auf der Sonnenseite - Roman
müssen ja nun erst mal auf unsere Verhältnisse umgerechnet werden.«
»Na, dann tun Sie das doch!«
Oje, das war zu frech für einen Bittsteller! Lenz erntete ein Stirnrunzeln fast bis zum Hinterkopf. »Na gut! Dann können Sie jetzt erst mal gehen. Sie erhalten in Kürze Bescheid und danach den Ihnen zustehenden Betrag in regelmäßigen Abständen per Postanweisung ausgezahlt.«
Er zögerte kurz, der leicht beleidigte Mann hinter seinem ordentlich aufgeräumten Schreibtisch, dann entschloss er sich, zum Abschluss des Gespräches trotz aller Frechheiten dieses ungebetenen Mithineinlangers in die Fleischtöpfe seiner westlichen Landsleute doch noch »menschlich« zu werden. »Was Ihren Beruf betrifft, kann ich Ihnen allerdings keine großen Hoffnungen machen. Um eine entsprechende Arbeitsstelle müssen Sie sich schon selber kümmern.«
Doch das wusste Lenz bereits. In der Bundesrepublik nahm ihn kein Staat an die Hand, hier musste er selbst seines Glückes Schmied sein. Nicht zuletzt deshalb war er gekommen.
Lenz hätte gern wieder in seinem alten Beruf gearbeitet, und im Frankfurter Raum gab es die Firma Willgruber & Dietz , die medizinisch-technische Geräte entwickelte und zu den führenden Pharma-Herstellern gehörte. Es lag nahe, sich dort zuerst zu bewerben. Doch scheute er davor zurück. Mit dieser Firma hatte er von OstBerlin aus zusammengearbeitet, er kannte den Exportchef und wollte nicht auf Vitamin B setzen. Nach dem Motto: Ihr kennt mich doch, helft mir! Er versuchte woanders sein Glück; Hauptsache Job, Hauptsache Geld verdienen. Wenn Silke und Micha kamen, sollte das finanzielle Überleben der Familie Lenz gesichert sein.
Exportfirma für Exportfirma klapperte er ab, eine Absage jagte die andere. Gift für sein Selbstwertgefühl. Verunsichert studierte er andere Stellenanzeigen und bewarb sich eines Tages kurz entschlossen bei einer Versicherung. Haus & Hof nannte sie sich und hatte groß annonciert. Vielleicht brauchten die dort ja nicht nur Treppenterrier; er war neugierig, wollte wissen, was hinter dieser so ins Auge fallenden Annonce steckte.
Wohlhabend ausgestattete Büros empfingen ihn, ein piekfein gekleideter, grau melierter Herr redete voll Begeisterung auf ihn ein. Einer, der so ehrlich aussehe wie Lenz, müsse unbedingt bei ihnen anfangen, sagte er schon nach wenigen Minuten. »Das sehe ich doch auf den ersten Blick: Sie haben kommunikative Kompetenz, sind für das harte, aber äußerst einträgliche Türgeschäft wie geschaffen. Leute wie Sie, also wirklich, Sie verkaufen unserer Klientel doch Wassergrundstücke mitten in der Wüste!«
Er lachte und Lenz lachte höflich mit. Also doch Treppenterrier! Da er aber schon mal hier war … Bereit, das mit den Wassergrundstücken unter der Rubrik »schlechter Scherz« einzuordnen, plauderte er kaffeetrinkend noch ein Weilchen mit dem vergnügt-jovialen Herrn, dem sein ehrliches Gesicht so gefiel, und ließ sich am Ende überreden, doch mal mit einem seiner »zukünftigen Kollegen« auf Tour zu gehen. »Sehen Se sich mal an, was der so macht! Hören Se ihm zu und entscheiden Se dann. Wer überstürzt nein sagt, verpasst vielleicht sein Lebensglück.«
Lenz fuhr mit, sah sich an, was der eventuell zukünftige Kollege so machte, hörte zu, wie er redete, und erfuhr während der Mittagspause auch, wie er dachte: »Kein schlechter Job hier bei der Haus & Hof . Mir habbe hervorragende Konditione. Sischer, mir sin ned besser als de Konkurrenz, aber das muss ja nemmand wisse, ned wahr?«
Sie saßen in einem kleinen Speiselokal und der eventuell zukünftige Kollege grinste gemütlich, während er voller Appetit sein Gulasch verspeiste.
Nein, so etwas würde natürlich niemand an die große Glocke hängen. Woher also sollten ausgerechnet jene kleinen Gewerbetreibenden das erfahren, die sie an diesem Tag abklapperten, Obst- und Gemüsehändler, ein Bäcker-, ein Kürschner-, ein Schneider-, ein Metzgermeister und auch der Zeitschriftenhändler mit der Lottoannahmestelle? Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und war die Konkurrenz etwa edler, würde die ihre Klientel nicht ebenfalls auf Teufel komm raus überversichern?
Der »Kollege« blickte sich aufmerksam um. Als er sicher war, dass niemand sie belauschen konnte, gab er Lenz einen Tipp: »Se habbe doch sischer Verwandte und Bekannte, ned wahr? Sin die alle schon bis zur Halskrause abgesischert? Mit dene fängt ma an. Die könne ja gar ned anders, als zu unterschreibe, de liebe Leut, wolle se ihre
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