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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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fünfzehn Jahre später eine ganz ähnlich geartete friedliche Revolution geben sollte. Zu jener Zeit hätte er sich nicht im Traum vorstellen können, dass der Staat, dem Hannah, die Kinder und er einen solch hohen Preis für ihre Freiheit bezahlen mussten, eines Tages wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen würde. Doch musste er sich etwas Ähnliches gewünscht haben. Wie hätte ihm sonst eine solche Geschichte einfallen können?
    In jener Heiligabendnacht schrieb er weiter an der Indonesien-Geschichte. Schrieb, bis er glühte, und lag, als er sich am Morgen endlich wieder hinlegte, weiter wach.
    Ob er Talent hatte? Ob er wirklich schreiben konnte? Jener heiße Wunsch, was er fühlte und dachte, in Worte zu fassen, verfolgte ihn ja schon lange. Bereits der kleine Manni – noch im Krieg geboren und viel allein gelassen von seiner von ihrer Eckkneipe und ihrem dritten Mann aufgefressenen Mutter – fand seine Gegenwelt zu all den lauten Nachkriegs-Erwachsenen um sich herum in seinen Büchern und Träumen. Denn lag er im Hinterzimmer dieser Kneipe, den Lärm der Gäste im Ohr und das Licht schon gelöscht, weil er nicht mehr lesen sollte, dann »schrieb« er selbst, indem er eigene Geschichten erfand, die er wie Filme vor seinen Augen ablaufen ließ. Später ernteten seine Schulaufsätze viel Aufmerksamkeit, einer des Fernstudenten Lenz wurde sogar dem Schularchiv einverleibt.
    Schon früh schrieb er Gedichte. Anfangs ging es nur um Liebe, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, später mischte er sich in die große Politik ein. Und schob sich damit selbst einen Riegel vor. Zwar hatte er ab und zu mal einen Text veröffentlichen dürfen, das aber nur dann, wenn er mit seinem Staat einer Meinung war. Wie im Falle der griechischen Militärjunta, die, wie er meinte, hinweggefegt, oder des Vietnamkrieges, der beendet gehörte. Das meiste hatte er verstecken müssen. Seine Kritik an dem Mauerstaat, in dem er lebte, hätte ihn auf direktem Weg ins Gefängnis gebracht. Wegen staatsfeindlicher Hetze, öffentlicher Herabwürdigung oder wie die Paragrafen, unter die solche Fälle von eigenem Denken fielen, alle hießen.
    Schikanen, die ihm nicht gerade Lust auf größere Arbeiten gemacht hatten. Zwar schrieb er weiter, doch immer nur kürzere Texte, Unmutsäußerungen und Wutausbrüche, die samt und sonders in der »Schublade« seiner Verstecke verschwanden. Einer der vielen sozialistischen Hofberichterstatter, die im Auftrag der Partei oder der »guten Sache« wegen schrieben, hatte er nicht werden wollen. Das hätte sein Gewissen, dieses beißwütige Krokodil in seinem Nacken, das nun schon so lange auf ihn aufpasste, dass es längst zum guten Freund geworden war, nicht genehmigt.
    Jetzt lebte er in einem Staat, in dem so gut wie alles veröffentlicht werden durfte; Hauptsache, es war verkäuflich. Allein die Zensur des Marktes regierte. Doch was ging ihn der Markt an, was das Beliebigkeitsgeröll simpelster Unterhaltungsliteratur, das die Bestsellerlisten anführte? Er wollte schreiben, aber nicht unbedingt von seinem Schreiben leben. Wenn andere mit seinem Geschreibsel etwas anfangen konnten, wollte er schon zufrieden sein. Ja, und hatten Hannah und er denn inzwischen nicht genügend Leute kennengelernt, die anders lebten und dachten als jene Partygänger in Schwägerin Fränzes Nachbarschaft? Es gab auch im Westen jede Menge kluge und kritische Köpfe, die sich nicht allein von Pudding ernähren wollten. Unverzeihlich von ihm, würde er jetzt nicht loslegen, um sein Talent auszuprobieren.
    Er lachte leise. Wie hatte sein Vernehmer bei der Stasi gesagt, jener junge Leutnant mit dem Klassensprechergesicht, als er ihm triumphierend ein paar von seinen nicht gut genug versteckten »literarischen Versuchen« unter die Nase hielt? »Was denn, in den Westen gehen, dicke Bücher schreiben? Über uns vielleicht? Das könnte Ihnen so passen!«
    Nein, er hatte nicht die Absicht, in den nächsten Jahren über seine Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus zu schreiben. Es gab so viele andere Themen, die ihn nicht weniger beschäftigten. Auch hatten Hannah und er, was hinter ihnen lag, ja noch längst nicht verarbeitet. Die Wunde blutete noch, begann erst langsam, sich zu schließen; darüber schreiben würde er erst, wenn sie vernarbt war. Wie sollte er denn sonst fair und sachlich und vielleicht sogar humorvoll und nicht nur verletzt und zornig über diese Zeit berichten?
    Unruhig geworden, musste er sich zu heftig

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