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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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andererseits, weil ihr so manche Einstellungsprozeduren missfielen. Zum Beispiel, wenn ihr ein Fragebogen in die Hand gedrückt wurde, der Auskunft darüber verlangte, ob sie zurzeit schwanger sei oder in naher Zukunft weitere Kinder wolle. Nicht schwer zu erraten, was diese Fragen bezweckten. Der Staat, den sie verlassen hatte, förderte die Berufstätigkeit von Müttern, weil er dringend Arbeitskräfte benötigte; viele Westfirmen schraken vor eventuell möglichen Fehlzeiten zurück. Die Firma sollte florieren, nicht die Familie.
    Auch im Bürgermeisteramt ihres neuen Heimatortes hatte Hannah sich beworben und wäre, wie man ihr dort sagte, sogar eingestellt worden, wenn, ja, wenn sie nicht ausgerechnet aus dem Osten gekommen wäre!
    Eine der Nachwehen der Guillaume-Affäre. Die Stasi hatte einen ihrer Langzeit-Mitarbeiter bis ins Bundeskanzleramt geschleust; der »Kundschafter des Friedens« hatte dem Bundeskanzler Brandt, der wegen dieses Coups dann ja auch zurückgetreten war, sogar die Aktentasche tragen dürfen. Man war vorsichtig geworden: »Tut uns leid, Frau Lenz, aber Sie wissen ja!«
    Frau Lenz wusste nichts; vor allem nicht, was die DDR an den Vorgängen in dieser Neubau-Schlafstadt interessieren sollte. Doch nutzte ihr dieses Nichtwissen nichts, und so sammelte sie eben Erfahrungen in der Auto-, der Steuerberatungs- und Bankbranche.
    Ein scherzhaft gemeinter Spruch des Autohändlers stand über dieser Zeit: »Sonntags geh ich in die Kirche, wochentags bescheiß ich die Leute.«
    Lenz hatte es besser erwischt. Er schlug bei Willgruber & Dietz Wurzeln. Da er willig war, abzuliefern, was von ihm erwartet wurde, spielte er den jungen, dynamischen, kontaktfreudigen Mitarbeiter und bemühte sich, für die Firma ganz neue Märkte zu erobern. Bald durfte er von sich sagen, seine Sache nicht schlecht zu machen. Doch natürlich war auch bei Willgruber & Dietz nicht alles eitel Sonnenschein, und einem, dem ein Krokodil im Nacken saß, fiel es nun mal schwer, mit geschlossenen Augen durchs Leben zu gehen.
    In seinem DDR-Dasein hatte dieses Krokodil oft recht schmerzhaft zugebissen, weshalb hätte es hier anders sein sollen?
    Anfangs allerdings gelang es ihm, den Freund, der auf ihn aufpasste, mit guten Argumenten zu besänftigen. Schließlich musste doch auch er froh sein, dass sein vom Schicksal so hart geprüfter Kumpel Lenz wieder in seinem Beruf untergekommen war, nach all dem, was sie zuvor erlebt hatten. Und dann galt es ja immer noch, erst mal Erfahrungen zu sammeln, um diese neue Welt besser verstehen zu lernen. Neulinge, die von nichts Ahnung hatten, aber gleich auf die Pauke hauten, konnte Lenz nicht ausstehen.
    Eine seiner ersten »Erfahrungen« hieß Hugo Klatt, ein Kollege Mitte sechzig und damit für Lenz und alle anderen, eher jüngeren Mitarbeiter der Exportabteilung schon ein alter Mann. Der glänzende Kahlschädel mit den langen, weißen Koteletten und der randlosen Brille auf der breiten, wuchtigen Nase befürchtete, dass mit Lenz bereits sein Nachfolger eingestellt worden sei. Immer wieder durchwühlte er in Lenz’ Abwesenheit dessen Schreibtisch, in der stillen Hoffnung, ihm irgendeinen Fehler nachweisen zu können, der ihn schnell wieder auf die Straße beförderte.
    Anfangs reagierte Lenz nur verwundert, später bestürzt. Eine solche Angst um den Arbeitsplatz hatte er noch nicht kennengelernt. Weshalb sagte dem Alten denn niemand, dass seine Furcht ganz und gar unbegründet war? Es würde doch wohl nicht ein Kalkül dahinterstecken, nach dem Motto: Ein bisschen Unsicherheit weckt neue Energien?
    Es dauerte lange, bis er Klatt davon überzeugt hatte, dass er nicht sein Nachfolger werden, sondern etwas ganz Neues aufbauen sollte, nämlich das Geschäft mit den osteuropäischen Staaten. Als der alte Herr, immer sehr korrekt gekleidet und von einer mächtigen Rasierwasserfahne umschwebt, ihm dann endlich glaubte, weil Lenz’ Aktivitäten eindeutig in diese Richtung gingen, ließ seine Neugier etwas nach. Dennoch erzählte er weiter überall herum, Lenz habe keine Ahnung vom Exportgeschäft und man müsse auf ihn achtgeben, schließlich habe die DDR überall ihre Spitzel.
    Die Guillaume-Affäre! Das Misstrauen saß tief und Lenz hatte bis zu einem gewissen Grad Verständnis dafür. Klatt jedoch zielte unter die Gürtellinie, und sollte er, Lenz, sich etwa auf ein solches Niveau begeben, um ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen?
    Es wäre einfach gewesen, dem Kahlschädel eins auszuwischen:

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