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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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bewegt haben. Hannah erwachte und streckte die Hand nach ihm aus. Sicher glaubte sie, ihn quäle mal wieder ein Stasi-Traum. »Du schläfst nicht?«
    »Doch – ganz tief!«, beruhigte er sie.
    »Aber warum denn nicht? Jetzt ist doch alles gut.«
    »Vielleicht gerade deshalb. Bin so froh.«
    Da seufzte sie zufrieden. »Na dann – es gibt unschönere Gründe, nicht schlafen zu können.«
5. Seitenwechsel
    J a, alles war gut! Den Schönmüllers waren sie in einen Hochhaus-Neubau im S-Bahn-Bereich von Frankfurt am Main entflohen – fünfter Stock, vier Zimmer, weiter Blick übers Land –, im ersten gemeinsamen Sommer seit ihrer Trennung fuhren sie an den Wolfgangsee.
    Zwei Tage lachte ihnen die Sonne, zehn Tage lang sorgte heftiger Regen für meilenweite Überschwemmungen. Dennoch fuhren sie im Jahr darauf wieder hin und nun bescherte Petrus ihnen vierzehn Tage prallen Sonnenschein! Nichts als Badespaß, Bergwandern, Eisessen und In-die-Sonne-Blinzeln; ein einziger Gute-Laune-Urlaub.
    Während dieser zweiten Wolfgangsee-Ferien stand Lenz eines Nachmittags im St. Gilgener Supermarkt an der Kasse an, als ihm mehrere neugierige Gaffer auffielen. Durch die offene Tür und das sonnenbeschienene Schaufenster zeigten sie auf jemanden, der direkt hinter ihm stehen musste. Er drehte sich um – und blickte hoch: Hinter ihm stand der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, wegen seiner Körpergröße und CDU-Parteimitgliedschaft zu jener Zeit gern der schwarze Riese genannt, den Einkaufskorb mit einem Netz Kartoffeln in der Hand, geduldig wartend.
    Der Mann hinter ihm, eher angetan als sich gestört fühlend von all den Gaffern, lächelte ihm augenklimpernd zu und Lenz grinste zurück. Er war beeindruckt. Zwar stand er diesem Dr. Kohl politisch nicht sehr nahe, die Tatsache jedoch, dass eine solche Politgröße in seinem Urlaub schlicht wie alle Normalsterblichen an der Supermarktkasse anstand, um seine fünf Pfund Kartoffeln zu bezahlen, keinerlei Vorrechte beanspruchte und von keinem einzigen Bodyguard beschützt wurde, imponierte ihm. Undenkbar, dass ihm das mit Honecker oder irgendeinem anderen DDR-Politiker passiert wäre.
    Zwanzig Jahre später sollte er dem schwarzen Riesen erneut begegnen. Auf der Frankfurter Buchmesse. Da war Helmut Kohl dann schon seit über einem Jahrzehnt deutscher Bundeskanzler und Lenz kein ganz unbekannter Autor mehr. Am Messestand seines Verlages, nun von zahlreichen Bodyguards und noch mehr Fotografen umgeben, drückte der zu jener Zeit schon nicht mehr ganz so riesige, dafür aber sehr viel breitere und dickere Pfälzer ihm die Hand und unterhielt sich mit ihm über die Thematik seines neuen Buches. Er war ja studierter Historiker, der Dr. Kohl, und Lenz’ neuester Roman spielte in jenem denkwürdigen und geschichtsträchtigen Jahr 1848.
    Es war ein eher nichtssagendes, sehr kurzes Gespräch; einen nachhaltigen Eindruck hinterließ bei Lenz nur des Kanzlers riesige und überaus fleischige Hand. Eine solche Hand hatte er noch nicht in der seinen gehalten und aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm das so schnell auch nicht wieder passieren.
    An jenem Tag auf der Buchmesse sollte er aber noch eine andere prominente Hand drücken – die des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, dem politischen Gegenpol zum Kanzler. Der Politstar von der Saar mit dem Pinocchio-Gesicht zeigte allerdings keinerlei Interesse an Lenz’ Roman, nickte nur gelangweilt zu allem, was ihm erzählt wurde, und sah Lenz kaum eine halbe Sekunde lang an.
    Der zeigt allen, dass dieser Messespaziergang für ihn nichts als lästige Pflichterfüllung ist, fuhr es Lenz durch den Kopf, sozusagen ständiger Vorwahlkampf.
    Eine Händeschüttelei, an die Lenz im Sommer 1976 noch nicht zu denken gewagt hätte und der er auch später keinen großen Wert beimaß. Alles nur Show, alles eingeübte Oberflächlichkeit. In jenem Sommer wollten Hannah, Silke, Micha und er nur eines: die Ferien genießen! Und wenn der schwarze Riese das auch wollte, warum denn nicht?
    Die Ferien waren fast jedes Mal wunderschön, der Alltag gestaltete sich nicht ganz so problemlos.
    Seit ihrem Umzug arbeitete Hannah zunächst in einem Autohandel, danach in einem Steuerberatungsbüro und schließlich in einer großen Bank. Es war noch immer schwierig, eine ihren Kenntnissen entsprechende Tätigkeit zu finden. Einerseits, weil sie der Kinder wegen nur halbtags arbeiten konnte – zu jener Zeit von ihr auch gar nicht anders gewünscht –,

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