Auf der Sonnenseite - Roman
Regelmäßig gegen Mittag sank er immer tiefer, bis er an seinem Schreibtisch eingeschlafen war und leise Schnarchtöne die Stimmung im Großraumbüro auflockerten. Und Willgruber & Dietz war doch keine Wärmestube für alte Männer, die nur noch ins Büro fuhren, damit ihre wesentlich jüngeren Ehefrauen sie nicht für nutzloses altes Eisen hielten …
Aber nein, Lenz ließ Klatt schnarchen und ihn weiter Intrigen spinnen. Doch dachte er viel nach über den Alten, der lange Zeit in Südafrika eine eigene Firma besessen hatte und erst vor wenigen Jahren in die Bundesrepublik heimgekehrt war. – Wie der wohl seine schwarzen Angestellten behandelt hatte, diese Karikatur von einem Daimler-Fahrer mit Hut? Und was hatte er denn zu Nazi-Zeiten und im Krieg gemacht, der Hugo Klatt, der seine israelischen Geschäftspartner stets mit einem viel zu eilfertig über die Lippen kommenden »Schalom« begrüßte? Sogar seine Briefe beendete er mit jenem Friedensgruß, dieser stramme Philosemit, der so rasch nach dem Krieg aus Deutschland verschwunden war. War er damals wirklich nur gegangen, weil er keine Arbeit fand? Zu jener Zeit wurde doch jeder gebraucht, der noch Hände und Füße hatte. Steckte in Wahrheit nicht vielleicht eine Flucht dahinter? Weg aus dem Land, in dem man ihn kannte, raus aus der schönen deutschen Heimat, bis Gras über seine Verstrickungen in das Nazi-Regime gewachsen war?
Vom Zorn diktierte Unterstellungen, durch nichts zu beweisen! Keine Unterstellung jedoch war, dass jener Vorschlag, Pharmaware, deren Verfallsdatum fast erreicht war und die deshalb in Europa nicht mehr zu verkaufen war, in die Dritte Welt zu spenden, von Hugo Klatt kam, dem ehemaligen Südafrikaner. Auf diese Weise, so sein Argument, müsse die Ware nicht vernichtet werden und ihren Gegenwert könne man von der Steuer absetzen. Außerdem, angenehmer Nebeneffekt, dürfte Willgruber & Dietz sich in diesem Fall seiner Mildtätigkeit rühmen.
Eine Transaktion, die Lenz auf den Magen schlug. Da ließ sich das Krokodil in seinem Nacken durch nichts mehr besänftigen. »Aber das können wir doch nicht machen«, empörte er sich laut, als er hörte, dass die Geschäftsleitung auf Klatts Vorschlag eingegangen war. »Das ist doch keine Hilfe, das ist ein Verbrechen. Weiß doch keiner, wie lange die Ware dort noch irgendwo lagert, bevor sie an die Leute kommt.«
Seine Kollegen, in erster Linie am Wohlergehen der Firma interessiert – der Kredit für das unlängst erworbene Reihenhäuschen war ja noch längst nicht abgezahlt –, zuckten die Achseln. »Na ja, schön ist das Ganze nicht. Aber immer noch besser, als würden die dort gar keine Medikamente erhalten, oder? Das Zeug ist ja noch brauchbar, unsere Vorschriften sind da viel zu streng.«
Schlechte Ware oder keine, so lautete die Alternative. Und so dachten wohl auch die Inhaber der Firma: Anneliese Berthold, die Erbin von Willgruber & Dietz , eine mütterliche, wenn auch oft ein wenig naiv wirkende Frau, die Lenz nicht unsympathisch war, und ihr ebenfalls nicht mehr junger, ewig zerknautscht und mürrisch wirkender Mann Kurt, der sich trotz der stetig wachsenden Größe der Firma am frühen Morgen noch immer durch alle Post wühlte, um – misstrauisch, wie er war – über jeden Vorgang Bescheid zu wissen.
Lenz kam mit beiden Bertholds gut aus, obwohl er sie nicht immer verstand. Zumindest jedoch konnte er sie ernst nehmen, ganz im Gegensatz zu den ihm unmittelbar vorgesetzten Chefs.
Er erlebte drei Exportdirektoren mit. Werner Kiesler, der versierte Fachmann, der ihn eingestellt hatte und mit dem er sich gut verstand, machte sich leider bald selbstständig.
»Immer nur für andere arbeiten ist nicht mein Ding«, vertraute er Lenz an. »Will endlich mal in die eigene Tasche wirtschaften.«
Sein Nachfolger, Heribert Raake, ein mit dunkelbraunen Augen treuherzig in die Welt blickender Schaumschläger allerhöchsten Grades, wurde bald zur Lachnummer. Offensichtlich hatte er sich während des Einstellungsgesprächs gut verkauft, der ein wenig füllig wirkende Mann im stets frisch gebügelten blauen oder braunen Anzug, mit dazu ganz und gar nicht passender, schreiend bunter Krawatte überm blütenweißen Hemd. Zum Einstand verköstigte er seine neuen Mitarbeiter mit viel zu lieblichem deutschen Wein und Schnittchen – später stellte sich heraus, dass die Weinfirma, die ihn belieferte, ihren vermeintlich vorzüglichen Wein mit Frostschutzmitteln gepanscht hatte –, und auf
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