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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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an eine Kaninchenbucht erinnernden Gefängniszelle ohne Tageslicht hatte zubringen müssen, bevor die Stasi ihn endlich »heimflog«.
    Seine erste Dienstreise für Willgruber & Dietz hatte ihn nach Bukarest geführt – jene trockenheiße Stadt, in der Hannah, Silke, Micha und er während ihres Fluchtversuchs einen ganzen Tag lang Aufenthalt hatten –, die zweite führte nach Sofia, zur vorläufigen Endstation dieser Flucht. Hatte da irgendwer dran gedreht? Mal wieder der große Regisseur auf seinem weichen Regiestuhl hoch über den Wolken, der sich schon so oft in sein Leben eingemischt und offensichtlich viel Spaß an solch makabren Scherzen hatte?
    Hannah hatte ihn nicht gern fahren lassen. Gerade erst die Führerscheinprüfung bestanden und gleich eine so weite Reise? Und ausgerechnet Sofia? Was, wenn er bei denen noch auf irgendwelchen Listen stand? Vielleicht ließen die Bulgaren ihn ja auch gar nicht rein.
    Doch was sollten all diese Bedenken, er musste mal wieder fahren. Bei Willgruber & Dietz wusste man weder, dass er ein solcher Führerscheinneuling war, noch, welch besondere Erfahrungen er mit Bulgarien gemacht hatte. In Sofia fand eine medizinische Fachausstellung statt, Willgruber & Dietz wollte dem Land am Schwarzen Meer hochwertige westdeutsche Medizintechnik ans Herz legen. Es gab kein Entweichen.
    Er überlebte die Fahrt und war nach all dem Stress an der bulgarischen Grenze eher müde als aufgeregt. Er stand wohl auch auf keiner Liste mehr. Für die Bulgaren war die ganze Lenz-Geschichte eine reine DDR-Angelegenheit; westdeutsche Touristen oder Geschäftsleute waren willkommen.
    So sah Lenz sie denn wieder, jene Stadt, von der er nur das Innenleben des Untersuchungsgefängnisses und den Blick vom Dach kennengelernt hatte, auf dem die Gefangenen ihre zwanzigminütige Freistunde verbringen durften. Er suchte und fand das Knastgebäude der bulgarischen Stasi und blickte lange von unten nach oben anstatt wie zwei Jahre zuvor von oben nach unten.
    Ein stinknormaler Neubau! Nichts verriet, was hinter diesen Mauern vor sich ging. Gleich daneben allerdings war ein Kinderspielplatz. Und so wusste Lenz nun, woher die Kinderstimmen kamen, die ihm an den frühen Abenden immer so zugesetzt hatten, weil er dann jedes Mal voller Schmerz und Gewissensbisse an Silke und Micha denken musste …
    Er verließ diese Gegend und kam nicht wieder. Dafür besuchte er des Öfteren das DDR-Kulturzentrum; in der Hauptsache eine Buchhandlung, in der er für wenig Geld viele jener Titel erstand, die er schon mal besessen hatte; vor allem die alten Russen wie Tolstoi, Dostojewski, Gogol und Puschkin und die Franzosen Zola, Balzac, Maupassant und wie sie alle hießen. Die meisten Titel der ihn interessierenden DDR-Autoren hatte er längst in westlichen Buchhandlungen erstanden.
    Nach acht Tagen ging es zurück. Gleiche Strecke, gleicher Wagen, doch am Lenkrad einer, der von sich glaubte, nun tatsächlich Auto fahren zu können. Zugleich einer mit viel Vorfreude im Bauch: Hannah! Silke! Micha! Sie warteten auf ihn. Und niemand, der ihn an den Grenzen aufhalten würde. Er war ein freier Bürger, die ganze Welt stand ihm offen. Und so wusste er auch schon, wo Hannah, Silke, Micha und er im nächsten Jahr Ferien machen würden. Auf dem Hinweg war er daran vorbeigefahren; ins Salzkammergut würde es gehen, an den Wolfgangsee! Da hatten sie alles, den See und die Berge, Baden und Wandern. Und die Pass- und Zollabwicklung zwischen Österreich und Deutschland, wie locker das vor sich ging! Touristen wurden einfach nur durchgewinkt! Einfach nur durchgewinkt!
    Fantastisch!
4. Alles ist gut
    W as wurden das für Tage, Wochen, Monate, was erlebten sie für ein Weihnachtsfest! Sie waren wieder vereint, waren wieder eine Familie. Und das vom ersten Tag an. Die Kinder fremdelten nicht, im Gegenteil, sie stritten darum, wer die Nacht im Bett der Eltern verbringen durfte. Silke führte eine Strichliste, damit sie, die Große, auch ja nicht zu kurz kam.
    Und auch zwischen Hannah und Lenz stimmte es wieder. Hannah wurde wieder Hannah und auch Lenz fand langsam zu sich selbst zurück.
    Die Kinder freuten sich, dass sie nun jeder ein eigenes Zimmer hatten, mit freundlichen Möbeln und – Höhepunkt! – eigenem kleinen Transistorradio. Micha kam in eine gemütliche kleine Grundschule und schätzte es, dass die Lehrer dort nicht so »streng« waren, wie er es bisher kennengelernt hatte. Silke, bereits elf, besuchte eine große Gesamtschule, in der es

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