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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Ländern schon bald wie ein einziger unübersichtlicher, schlammiger und schwammiger Ozean vorkam. Was da alles gedruckt wurde! Neue und alte Weltliteratur und der allergrößte Scheißkram. Und der Scheißkram schwamm ganz weit oben auf den Wellen dieses Ozeans, war heute der Renner und wurde morgen verschämt verschwiegen. Banale Unterhaltungsromane wurden in den Buchhandlungen in hohen Stapeln angepriesen, Unmengen von kitschig-verbrämten Historienschinken, in denen mit den geschichtlichen Fakten nach Belieben umgesprungen wurde, erreichten höchste Auflagenzahlen. Dazu Schauspieler-, Sänger- und sonstige Entertainer-Autobiografien, geschönte Politiker-Memoiren und Ratgeber für alle möglichen und unmöglichen Lebenslagen.
    Fast hätte er sich in jene andere Bücherwelt zurückgesehnt, in der so manches kleine oder große Werk verboten wurde, weil die Herrschenden sich davor fürchteten. Was verboten ist, macht neugierig! Darüber wird gesprochen, und so bekommt das Werk, wenn es irgendwann doch irgendwo erscheint – und sei es im Westen –, eine Chance. Da ist dann sogar literarische Qualität zweitrangig, bereits der Mut, die Widersetzlichkeit werden belohnt. In seiner neuen Heimat brauchte es keinen Mut, hier wurde alles gedruckt, wenn nur der Markt bedient wurde. – Und in diesen Wust all des Gedruckten einer Gesellschaft, in der Bedarfsweckung anstatt Bedarfsbefriedigung auf der Tagesordnung stand, wollte er eintauchen? Armer Manfred Lenz, wenn du dabei nur nicht auf die Schnauze fällst!
    Ach was! Nur nicht verzagen! Wozu hatte er seinen Beruf? Er wollte ja nur mal ausprobieren, ob tatsächlich ein Schreiber in ihm steckte oder ob er sich das all die Jahre über nur eingeredet hatte: Du könntest ja, wenn das System, in dem du lebst, dir eine Chance bieten würde.
    Jetzt war die Chance da; packte er sie jetzt nicht beim Schopfe, wann dann? So schrieb er, schrieb und schrieb, und alles mit der Hand, denn wenn er sich an die Schreibmaschine setzte, fasste er sich automatisch kürzer. Und er wollte sich ja nicht kurz fassen; er liebte das Erzählen. Und Hannah, seine Hannah, schrieb an den Wochenenden ab, was er da in seiner Freizeit aufs Papier gekritzelt hatte, kritisierte oder lobte ihn und munterte ihn auf, wenn ihn Zweifel überfielen. Dafür übernahm er fast alle Hausarbeiten, putzte, ging einkaufen und kochte.
    Es war ein schönes gemeinsames Arbeiten und erinnerte beide an jene Zeit, als Lenz noch Soldat der Nationalen Volksarmee war und ihr seine in vielen Nächten Bereitschaftsdienst verfassten und während seiner Urlaubstage nach Hause geschmuggelten Texte gebracht hatte. Jetzt schrieb er an den Abenden, wenn die Kinder bereits im Bett lagen, schrieb während seiner Dienstreisen – auf Flughäfen, in Hotels und Restaurants – und manchmal sogar an seinem Willgruber & Dietz -Schreibtisch.
    Er schrieb, weil er gar nicht mehr anders konnte.
    Anfangs kamen die üblichen Absagen. Doch gab es Verlage, die meinten, ein Talent entdeckt zu haben. Nur: Warum hatte sich dieses Talent einem so unerquicklichen Thema zugewandt? Armut in der Dritten Welt! Wer sollte das denn kaufen?
    Ein Lektor schrieb: »Das Thema Armut hat in der Bundesrepublik keine Chance.«
    Das Buch, die Geschichte jenes Betteljungen, den Lenz in Djakarta kennengelernt hatte und der ihn mit seinem selbst ausgedachten Bettelspruch »No Mama, no Papa, no Television!« auf sich aufmerksam gemacht hatte, fand dann aber doch noch einen Verlag, einen sehr bekannten sogar. Allerdings: Hätte Lenz von dem Honorar, das er für seinen ersten Roman erhielt, länger als sechs Wochen leben wollen, hätte die Armut in der Bundesrepublik sehr wohl eine Chance bekommen. Doch so vermessen dachte er ja gar nicht, ihm genügte der Achtungserfolg. Sein Buch wurde innerhalb weniger Monate in vier Sprachen übersetzt, der Westdeutsche Rundfunk brachte eine vierteilige Lesung, die Kritiken waren ausgesprochen positiv. Was wollte er mehr?
    Und so schrieb er weiter und fast immer über unerquickliche Themen; die einzige Möglichkeit, das Krokodil in seinem Nacken einigermaßen zu besänftigen. Andere ertränkten ihren Kummer an der Welt im Alkohol, er schrieb ihn sich von der Seele, und das dankbare Krokodil klopfte ihm auf die Schulter: »Na, siehst du, es geht doch!«
    Er erfand Menschen, die ihm sympathisch waren, und solche, die ihm gegen den Strich gingen, stellte sie in Umgebungen, die er kennengelernt oder die er recherchiert hatte. Dabei schlüpfte

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