Auf der Sonnenseite - Roman
anderen Welt er nun lebte. Zwar eine mit Mucken und Macken, aber doch eine, in der es sich leichter leben ließ. Gern hätte er seine Geschichte erzählt. Doch verkniff er sich das. Seine Gesprächspartner hätten sich sonst von ihm zurückziehen müssen; Staatsfeind blieb Staatsfeind! Und hätten sie sich denn jede Aufstiegschance nehmen sollen, nur weil da einer teure Giftfibeln verschenkte?
Zu Verbrüderungsszenen allerdings kam es nicht. Wäre ja möglich gewesen, dass er, Lenz, sich ausgerechnet mit dem Informellen Mitarbeiter der Stasi den Bruderkuss gegeben hätte. Einer von dieser Sorte war ja immer dabei.
Dr. Nabel ließ ihn bis zum Ende dieses Symposiums nicht aus seinen Fängen. Doch verstand Lenz es, ihm so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Und später, nach seiner Heimkehr, erschien dem Cleverle aus Schwaben der Ostblock wohl nicht interessant genug für seine Geschäfte und er stellte seine Bemühungen ein.
Er hatte ja auch so sein Auskommen.
Andere Seitenwechsel vollzogen sich in Ceausescus Hauptstadt Bukarest, in die Lenz auch weiterhin öfter reisen musste. Hier fand jedes Jahr die Fachmesse Medizina statt, auf der viele an den Ausstellungsstücken eher uninteressierte Besucher zu beobachten waren.
Zum einen waren das die Geldwechsler, zumeist Betrüger, die den ausländischen Gästen gegen einen spektakulär günstigen Umtauschkurs ihre Dollars, Pfund, DM, Franken, Kronen oder Francs abluchsen wollten. Beliebter Trick: die Übergabe eines ganzen Bündels von Geldscheinen, oben ein rumänischer Leu-Schein, unten einer, in der Mitte passend zugeschnittenes Zeitungspapier.
Zum anderen waren das Deutsche aus Siebenbürgen, die sich einmal im Jahr mit ihren »wahren« Landsleuten unterhalten wollten. Oft sehr ärmlich gekleidet, sammelten sie alles, was sie an deutschsprachigen Prospekten bekommen konnten, und bedankten sich überschwänglich für jedes Getränk, das ihnen angeboten wurde. Irgendwann kannte Lenz sie alle, denn sie kamen jedes Jahr wieder.
Zum Dritten – und das waren die echten Seitenwechslerinnen – waren das junge Frauen, die aus ihrer Heimat fortgeheiratet werden wollten; hübsche und weniger hübsche, die an den Messeständen entlangwanderten, alle Welt, sofern sie ein westliches Logo aufwies, verliebt anlachten und dabei nach männlichem, unberingtem, also hoffentlich auch wirklich unverheiratetem Standpersonal Ausschau hielten.
Bald war bei vielen westlichen Kollegen kein Ring mehr zu entdecken. Die eine oder andere junge Rumänin aber, so wurde erzählt, sei auf diese Weise tatsächlich fündig geworden und in Paris, Linz, Basel, Hamburg oder München gelandet. Die meisten jedoch, davon war Lenz überzeugt, gewährten ihrem vermeintlichen Ehegemahl in spe einen nicht rückzahlbaren Vorschuss. Doch wer durfte sich in solchen Fällen schon betrogen fühlen?
Ganz anders verliefen Lenz’ Reisen in die Türkei und nach Griechenland.
In den sozialistischen Ländern erwarteten den Geschäftsreisenden aus dem Westen überall die gleichen bürokratischen Hemmnisse, die gleiche Devisenknappheit, das gleiche Teilhabenwollen am westlichen Wohlstand. Lenz, der niemandem so schnell etwas Billiges oder Schlechtes unterstellen wollte, entging deshalb so manches Geschäft. Er traute seinen oft sehr gestanden wirkenden Geschäftspartnern einfach nicht zu, bestechlich zu sein. Ein kleines Dankeschön hier und da – auch in DM –, wenn man bereits in Geschäftsbeziehung getreten war, na gut, das gehörte dazu. Aber mit Geldscheinen winken, um überhaupt erst ins Geschäft zu kommen? Dazu konnte er sich nicht durchringen, und so bewies ihm die Konkurrenz ein ums andere Mal, dass er eben doch kein guter Kaufmann war.
Flog er nach Athen oder Istanbul, konnte er entspannt verhandeln – falls er nicht gerade, wie es ihm hin und wieder passierte, in Athen einen türkischen oder in Istanbul einen griechischen Kaffee wünschte. Auf solche Gedankenlosigkeiten, die dem raschen Wechsel der Landesgrenzen geschuldet waren, reagierte man allergisch. Ansonsten aber hatte man Geld und es ging nur um Qualität und Preis, nicht um irgendwelche staatlichen Genehmigungen.
In seiner Freizeit fuhr er gern nach Piräus, um die kleine Hafenstadt und das Mittelmeer auf sich wirken zu lassen, oder flanierte durch Istanbuls Grand Basar, wo ehemalige türkische Gastarbeiter in ihm sofort den Deutschen erkannten und er an jedem dritten, vierten Stand ein Tässchen Tee trinken musste. Ehemalige Berliner
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