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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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martialisch wirkenden Mann. Jenen Stolz auf die Helden der Nation aber empfanden offensichtlich nicht nur die Medien; halb Deutschland, Ost wie West, war begeistert. Und auch im Ausland hieß es: Ja, das können sie, die Deutschen! In militärischen Dingen macht ihnen so leicht keiner was vor.
    Er bekam diese Worte nur wenige Tage nach der Geiselbefreiung selbst zu hören. In Belgrad. Sein dortiger Geschäftspartner, ein ewig die Hand aufhaltender, serviler älterer Herr mit rötlichen, faserdurchzogenen Wangen, wollte ihm schmeicheln. »Herzlichen Glückwunsch, Herr Lenz!«, sagte er und drückte ihm mit strahlenden Augen die Hand. »Also, was Ihr Grenzschutz da geleistet hat, alle Achtung! So was könnt wirklich nur ihr Deutschen!«
    Lenz lächelte nur gequält. Der Mann konnte ja nicht wissen, welchen Schmerz er ihm damit zufügte.
    Und Hanns-Martin Schleyer? Einen Tag nach den Selbstmorden von Stammheim wurde er gefunden – an der deutsch-französischen Grenze, in der Nähe der Stadt Mülhausen. Im Kofferraum eines Audi 100, ermordet mit drei Schüssen in den Hinterkopf. – Eine Hinrichtung!
    Die Antwort der RAF: Wir geben nicht auf, der Kampf geht weiter!
    Und so führten sie denn weiter Krieg. Bald gab es die zweite, später die dritte Tätergeneration; auf jede Phase scheinbarer Ruhe erfolgte ein neuer Anschlag, neues Morden. Man gewöhnte sich daran, lebte damit.
    Auch die Familie Lenz. Hielt ja keiner lange aus, sich alle paar Wochen neu aufzuregen.
    Jede Festnahme eines RAF-Mitgliedes wurde als großer Erfolg gefeiert, die ersehnte Niederschlagung des Terrorismus aber brachte sie nicht. Die Staatsfeinde verfügten über die sogenannten deutschen Tugenden, arbeiteten pünktlich, genau und brutal. Nicht auszuschließen, dass so manch einer, der sie bekämpfte, sie insgeheim dafür bewunderte.
    Es war, als würde der Staat mit einem Drachen kämpfen. Schlug er ihm einen Kopf ab, wuchsen zwei nach. Vergeblich setzte man auf noch mehr Fahndung, noch mehr Härte. Auf jedem Bahnhof, in jedem Polizeirevier, jeder Postdienststelle klebten die Fahndungsplakate – düstere Schwarz-Weiß-Fotos, die Lenz bald auswendig kannte. Keine einzige öffentliche Einrichtung konnte er noch betreten, ohne in diese verstört oder verklemmt wirkenden Gesichter zu schauen. Auch wurde der Polizeiapparat immer weiter ausgebaut; das Land, das sich so gern auf seine Freiheiten berief, wurde zum Bollwerk.
    Ein CDU-Politiker versuchte, mit Zitaten die geistige Nähe der SPD zur RAF zu belegen, einer seiner Parteifreunde empfahl dem Schriftsteller Heinrich Böll, der ein bisschen mehr über Ursache und Wirkung nachgedacht hatte als viele andere, die Auswanderung. Repressionen, die für Lenz einem kollektiven Verfolgungswahn gleichkamen.
    Wenn die RAF ihr Ziel, die »Massen« gegen den Staat aufzuhetzen, auch nicht erreichte, einen Triumph, so empfand er es, konnte sie feiern: Sie hatte diesen Staat verändert, hatte es tatsächlich geschafft, seine hässlichen Seiten ans Tageslicht zu bringen; Hässlichkeiten, die auch Silke, Micha und er zu spüren bekommen sollten.
    Zuerst traf es die Kinder, in jenem Jahr siebzehn und vierzehn Jahre alt. Auf dem Heimweg von einem Rockkonzert wurde ihr Gefährt, ein schon sehr alter, klappriger und deshalb nicht wenig auffälliger VW-Käfer , von einer Polizeistreife angehalten. Passte wunderbar ins Raster, dieser alte Gaul von einem Auto und dazu die fünf jungen Leute mit ihren kaputten Jeans und langen Haaren. Sie mussten aussteigen und wurden von einem der mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten mit drohender Miene angeherrscht: »Hände aufs Dach! Beine auseinander!«
    Verwirrt und verängstigt gehorchten sie und wurden nach Waffen abgetastet. Als die beiden Mädchen wagten, leise dagegen zu protestieren, mussten sie sich hämische Bemerkungen anhören. »Habt euch mal nicht so! Sonst fummelt ihr doch auch aneinander rum, oder etwa nicht?«
    Als sie endlich weiterfahren durften, konnten sie es nicht fassen. »Dieser Scheiß-Staat!«, schimpfte der junge Mann, dem der Wagen gehörte. »Wer so was erlebt, kann die RAF verstehen.«
    Silke und Micha verstanden die RAF dennoch nicht. Aber der Ton, in dem die Polizisten mit ihnen geredet hatten, die schamlose Art, in der man ihre Körper abgetastet hatte, und die Angst, die sie verspürt hatten, wirkten noch lange nach.
    Lenz versuchte, ihnen die Hintergründe für diese Fahndungsmethoden zu erklären. Es fiel ihm mal wieder schwer. Wie sollte er

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