Auf der Sonnenseite - Roman
etwas erklären, wofür er in Wahrheit selbst kein Verständnis hatte?
Kurz darauf erlebte er eine ähnliche Situation.
Es war an einem späten Novemberabend, er kam von einer seiner Lesungen, dichter Nebel lag über der Autobahn. Doch trübte das seine Stimmung nicht. Die Lesung war ein schöner Erfolg gewesen, dementsprechend heiter fuhr er durch die hessische Nacht. Auch war kaum Verkehr; um diese Zeit und bei diesem Wetter schaltete halb Deutschland gerade den Fernseher aus, um sich fürs Bett vorzubereiten.
Im Autoradio ein Oldie: Just walkin’ in the rain , gesungen und gepfiffen von Johnnie Ray. Auch das noch, einer der Lieblingsschlager aus seiner Kindheit. Sollte dieser Abend denn zu einer einzigen Sternstunde werden? Vergnügt pfiff er mit, bis ihn vor einem Parkplatz grelles Scheinwerferlicht erfasste und eine Polizeikelle ihn rechts ran winkte.
Er hielt an, kurbelte das Fenster herunter und sah den Uniformierten überrascht an. »Was gibt’s denn? Bin ich etwa zu schnell gefahren?«
Er wusste aber schon, dass es sich um keine Verletzung der Verkehrsregeln handelte – die in Anschlag gehaltene Maschinenpistole verriet es. Verstört schaltete er den Motor aus.
»Aussteigen!« war das Einzige, was er als Antwort zu hören bekam.
Es hatte ihn erwischt, er war in eine Fahndungsaktion geraten, so wie nur wenige Tage zuvor Silke und Micha und ihre Freunde. Jüngerer Mann, bei Nacht und Nebel allein unterwegs, in Jeans und Parka – auch er passte ins Raster.
»Aussteigen, hab ich gesagt! Beine breit und Hände aufs Dach.«
Die MP im Anschlag wackelte, er war der Staatsgewalt nicht schnell genug. Alles, wie Silke und Micha es geschildert hatten, alles aber auch, wie er es so ähnlich schon einmal erlebt hatte – zu einer anderen Zeit, in einem Staat, in dem man andere Uniformen trug.
Er befolgte den Befehl, protestierte aber: »Hören Sie, ich weiß, dass Sie nur Ihren Job machen. Doch könnten Sie etwas höflicher mit den Leuten umgehen, die Sie zu kontrollieren haben. Sie werden nicht jedes Mal auf hartgesottene Terroristen stoßen.«
»Schnauze!« Der Polizist, der ihn abtastete, hatte keine Lust auf ein Gespräch. Es war ein noch junger, nicht gerade kurzhaariger Mann, der – ohne Uniform – ebenfalls ins Raster gepasst hätte: Typ Mick-Jagger-Verehrer. Seine Kollegen hielten sich im Hintergrund, ließen Lenz aber nicht aus den Augen. Ihr Mick-Jagger-Verschnitt sollte wohl mal zeigen, was er schon gelernt hatte.
»Papiere!«
Lenz griff in seinen Parka und reichte dem jungen Mann Ausweis und Fahrzeugpapiere.
»Manfred Lenz«, las der Hüter der Ordnung laut vor, sodass seine Kollegen mithören konnten, und fügte genauso laut Geburtsdatum, Geburts- und Wohnort hinzu.
»Alles richtig«, bestätigte Lenz, den diese Szene langsam belustigte.
»Seien Se still!« Dieser Mick Jagger verstand keinen Spaß. Mit gewichtigen Schritten gesellte er sich zu seinen Kollegen, und Taschenlampen wedelten durch die Nacht. Lenz’ Foto wurde genauestens betrachtet und dazu irgendeine dicke Kladde gewälzt.
Jetzt hätte er beinahe laut aufgelacht. Übten die nur? Wäre er wirklich ein Terrorist, hätte er in diesem Augenblick in seinen Wagen springen und die Gruppe der Polizisten mit Schmackes über den Haufen fahren können. Ein Fehlverhalten, das ihm die mürrisch dreinschauenden Männer fast sympathisch machte. Hoffentlich stießen sie nie auf irgendwelche RAF-Leute.
Mick Jagger kam zurück und reichte ihm seine Papiere. »So, und jetzt – Kofferraum öffnen!«
Der war bis auf zwei Kartons leer. In dem einen befanden sich all die notwendigen Kfz-Utensilien, die ein Pkw-Besitzer nun mal bei sich haben muss, im anderen Bücher. Alle von einem Autor namens Manfred Lenz. Wenn kein Buchhändler einen Verkaufstisch aufgebaut hatte, erstand das Publikum gern bei ihm das eine oder andere Exemplar, um es sich signieren zu lassen.
Mick Jagger stutzte – und dann kam sie schon, die blöde Frage: »Manfred Lenz? Sind die Bücher von Ihnen?«
Lenz nickte nur.
»Sind Sie Schriftsteller?«
Das klang fast ein wenig erschrocken. Schriftsteller? Die waren doch besonders verdächtig, siehe dieser Heinrich Böll und all die anderen linken Federfuchser. Hatte er, Mick Jagger, diesen Lenz vielleicht nur nicht gründlich genug kontrolliert? Sollten sie jetzt, mitten in der kaltfeuchten Nacht, etwa auch noch den Pkw dieses Lenz auseinandernehmen?
»Im Nebenberuf – ja!«
Der Mick Jagger mit der Maschinenpistole
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