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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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doppelseitige Vergleichsfotos abgebildet. Auf der einen Doppelseite eine Autotaktstraße in Eisenach. Wartburgs wurden hier montiert und es wimmelte nur so von Mechanikern auf dem Foto. Auf der anderen eine Taktstraße bei Opel . Die durch und durch mechanisierte Arbeitswelt! Jene paar Arbeiter, die die Anlagen bedienten, das Auge musste sie suchen. Was für ein reibungsloser Produktionsablauf! Maschinen hatten weit geringere »Ausfallzeiten« als Menschen, auch konnten sie vierundzwanzig Stunden am Stück arbeiten. Doch war den Menschen im Osten ein Überstülpen dieser Arbeitswelt zu wünschen? Was war mit denen, die keiner mehr brauchte?
    Und dennoch, es würde nicht anders gehen. Brüderliche Hilfe war notwendig, um die rückständige Ost-Wirtschaft zu retten. Und die würde es allein unter dem Vorzeichen der Wiedervereinigung geben. Niemand im Westen hatte ein Interesse daran, eine »gewandelte« sozialistische DDR zu unterstützen. Und eine kapitalistische DDR machte keinen Sinn. Wozu als siamesisches Zwillingspaar durch die Weltgeschichte irren?
    Dieses Wort: »Wiedervereinigung«! Es wurde jetzt wieder öfter in den Mund genommen. Zuvor im Westen jahrzehntelang gebetsmühlenartig gebraucht als inhaltsleere Stereotype für die Feiertagsreden der jeweils regierenden Politiker, im Osten nichts anderes als der an die Wand gemalte Teufel; Synonym für Revanchegelüste. Doch hatte – hier wie dort – wohl kaum noch einer ernsthaft daran geglaubt, dass jenes Ergebnis des Zweiten Weltkrieges eines Tages rückgängig gemacht werden könnte. Jetzt aber, das war für Lenz so sicher wie das Husten in der Kirche, würde sie irgendwann kommen. Weil eine DDR mit offenen Grenzen nicht überlebensfähig war und die Mehrheit der Ostler gar nichts anderes wollte. Die ersten Demonstranten hatten noch gerufen: »Wir sind das Volk!«, seit Wochen hieß es: »Wir sind ein Volk!« oder prosaischer: »Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zur D-Mark.«
    Eine Drohung, gerichtet an beide Seiten …
    »Ein Königreich für deine Gedanken!« Jetzt hatte Hannah endgültig genug. »Machst ein Gesicht, als würdest du gerade einen Weltuntergang miterleben. Freu dich gefälligst! Das hier ist keine Beerdigung, sondern eine Wiedergeburt.«
    Schöne Worte, aber waren sie denn nicht doch auf einer »Beerdigung«? Bevor etwas wiedergeboren werden konnte, musste es ja erst mal gestorben sein. Auch wenn die verblichene Idee schon über ein halbes Jahrhundert lang vergewaltigt worden war und seit Langem stank und endlich unter die Erde musste, so war sie doch mal jung und voller Hoffnung gewesen. Verdienten ihre Hinterbliebenen da nicht Mitgefühl, wenn sie sich keines Verbrechens schuldig gemacht hatten? Vor allem jene, die unter den Vergewaltigern gelitten hatten und nun vielleicht bald erneut zu den Verlierern gehören würden?
    Jetzt hörten sie es schon, das Gehämmer der Mauerspechte. Durch die Dunkelheit drang es zu ihnen her und wurde immer lauter, je näher sie kamen. Mit Hammer und Meißel hieb man auf das unselige Bauwerk ein, Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche. Was man herausschlug, kleine und größere Betonbrocken, würden die fleißigen Klopfer später irgendwo am Kudamm an die Touristen verkaufen oder für sich behalten – zur Erinnerung an diese weltbewegenden Tage.
    Ein Weilchen sahen sie nur still zu, Hannah in Lenz’ Arm, während nicht weit von ihnen ein Trompeter ein Weihnachtslied nach dem anderen blies. Er hatte sich einfach vor die Mauer gestellt, mitten zwischen die Mauerspechte, und blies und blies, als wollte er mit seinen Trompetenklängen mithelfen, die Mauer zum Einsturz zu bringen.
    O du fröhliche ! Gab es irgendein Lied, das besser geeignet war, diesen Abend zu unterstreichen? Die weltberühmte Mauer, diese Barriere, die nicht nur Berlin, sondern die ganze Welt geteilt hatte – sie wurde in viele Millionen kleine Bröckchen zerschlagen und einfach davongetragen … »Freue, freue dich, o Christenheit!« Nach Dresden und München, Paris und Rom, New York und Tokio würden diese bunten Betonstückchen reisen; jeder sein eigenes Stück Mauer im Souvenirschrank. Hier und dort waren schon menschengroße Lücken in den Beton geschlagen, verrostete Armierungseisen erinnerten an krumme, schiefe Gefängniszellengitter … »O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!«
    »Kuck mal, der da!« Hannah wies auf einen ganz besonders cleveren Burschen. Dieser »Specht« klopfte nicht selbst, er

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