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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Petermann
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und lässt die Waffe in den Gleiskörper fallen. Die Fahrgeräusche des Zuges überdecken den Knall des Schusses. Durch die Bewegungsenergie des Projektils und den Gasüberdruck werden die kleinen Blutspritzer beim Eintritt in den Körper aus der Einschusswunde zurückgeschleudert und schlagen sich an den Händen und der Ablage als punktförmige und längliche Blutspritzer nieder. Obwohl ein großes Lungengefäß verletzt ist, stirbt Tom Howe nicht sofort. Es gelingt ihm, mit der rechten und jetzt noch blutfreien Hand das Abteilfenster zu schließen und das Rollo herunterzuziehen. Aufgrund seiner Erfahrungen als Kriegsveteran und Armeesanitäter muss Tom Howe unterstellt werden, dass er seine Handlungsfähigkeit trotz der tödlichen Verletzung einkalkulieren konnte. Hätte er sich sonst nicht direkt ins Herz geschossen?
    Auch die besondere Verteilung der Schmauchspuren an Tom Howes linker Hand ließ sich jetzt erklären. Diese hatte ja nach dem Ergebnis der kriminaltechnischen Analyse eher gegen einen Suizid gesprochen. Doch konnten wir nun davon ausgehen, dass die Hand wie bei einem klassischen Schuss – also mit dem Zeigefinger den Abzug durchdrückend – gehalten und zusätzlich bei offenem Fenster der Fahrtwind des Zuges die Gase mit den Schussrückständen verwirbelt hatte.
    Tom Howe war keinem Raubmord zum Opfer gefallen, sondern hatte sich selbst erschossen und den Suizid in sorgfältiger Planung als Raubmord inszeniert. Die Summe der Indizien reichte als Beweis aus: Die Blutspuren im Abteil und an der Leiche, der aus dem Zug geworfene Revolver seines Freundes, die Vorbereitungshandlungen mit dem gefälschten Bankbeleg und dem Anruf bei seiner Ehefrau, »er habe das Geld in seine Gesäßtasche gesteckt«, das erbetene Wecken – obwohl er seinen Wecker bereits auf 04.10 Uhr gestellt hatte –, seine scheinbar lebensbedrohliche Erkrankung und sein verschlossenes Wesen, der Brief an den Freund »irgendwann die .38er zu nehmen und die ganze schmerzhafte Scheiße zu beenden«.
    Und auch die weitere Auswertung der Spuren vom Tatort erbringt keine Gegenbeweise: Der Schuhabdruck auf der Sitzfläche stammte von einem Rettungssanitäter.
    Über die Gründe, die Tom Howe letztendlich zum Suizid bewogen, lässt sich nur spekulieren. Hatte er tatsächlich so unerträgliche Schmerzen, dass er damit nicht länger leben wollte, oder hatte er sie sich nur eingebildet? Krankhafte Befunde hatten bei der Obduktion ja nicht nachgewiesen werden können. Oder war Howe durch die dauernden Geldsorgen heimlich tief verzweifelt gewesen?
    Die Gründe für die Inszenierung dagegen liegen auf der Hand. Die Lebensversicherung und die Zusatzversicherung für Inhaber einer Bahncard werden nur dann ausgezahlt, wenn der Versicherte Opfer eines Verbrechens oder eines Unfalls wird, nicht aber bei einem Suizid. Es ging Tom Howe also vermutlich darum, dass seine Familie die Versicherungssummen erhielt. Doch inwieweit ihn Gewissensbisse über den geplanten Freitod dazu motiviert hatten, ein Verbrechen zu inszenieren, wird immer ungeklärt bleiben. Zudem muss das Geld nicht der Hauptgrund gewesen sein. Vielleicht wollte Howe seiner Familie auch die Gewissheit ersparen, dass er sich selbst das Leben genommen hatte.
    Aber ist Ungewissheit für die Zurückgebliebenen besser? Immer wieder habe ich beim Überbringen der Nachricht von einer Selbsttötung erlebt, dass die Angehörigen wie vom Blitz getroffen waren. Häufig hatte niemand etwas geahnt, nicht bewusst Warnsignale wahrgenommen oder richtig interpretiert. Und so musste ich eine Vielzahl von Fällen untersuchen, bei denen Menschen scheinbar ohne Grund und ohne Erklärungen aus dem Leben geschieden waren – sich erschossen, vergiftet, die Pulsadern geöffnet oder verschiedene Methoden miteinander kombiniert hatten. Aber jedes Mal konnte ich deutlich den Schrecken über den Tod und die Ungewissheit über die Gründe bei den Hinterbliebenen spüren.
    Mit inszenierten Tatorten hatte ich es bei meiner Arbeit öfter zu tun – in der Mordkommission ebenso wie als Fallanalytiker. Häufig entstanden sie aus einer Situation heraus, bei der es zu einer spontanen und ungeplanten Tötung des Opfers gekommen war und anschließend vom Täter bewusst Spuren gelegt wurden, um einen Verdacht gegen sich erst gar nicht aufkommen zu lassen. Der Fall von Tom Howe gehört allerdings zu den anspruchsvollsten Inszenierungen, die ich je bearbeitet habe. Er zeigt, welche Schwierigkeiten Kommissionen bei der Bearbeitung

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