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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Petermann
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Opfer gefundenen Sperma-und Hautzellen.
    Die Überprüfung der Verdächtigen begann mit einem scheinbaren Misserfolg der Ermittler, denn als Erstes musste ein Jugendlicher, der kurz nach dem Verbrechen verhaftet worden war und seit drei Monaten in Untersuchungshaft saß, wegen seines abweichenden Gen-Profils wieder entlassen werden. Damit bewahrte das neue Verfahren vermutlich einen Unschuldigen vor einer Verurteilung als Mörder. Die weiteren Untersuchungsergebnisse brachten schließlich den »genetischen Durchbruch«: Die beiden Mädchenmorde und zwei Vergewaltigungen, auch sie hatten sich in der Nähe von Enderby zugetragen, waren alle von demselben Täter, einem Serienmörder, verübt worden. Die Häufung der Verbrechen in einer Region legte den Schluss nahe, dass der Mörder aus der Gegend stammte. Kurzerhand wurde von den Ermittlern das erste DNA-Massenscreening beschlossen und in die Tat umgesetzt. Am Ende hatten trotz erbitterten Widerstandes von britischen Bürgerrechtlern und unter dem Applaus von aufgebrachten Frauenrechtlerinnen über fünftausend junge Männer im Alter von dreizehn bis dreißig Jahren freiwillig Blut und Speichel abgegeben. Sozialer Zwang und die Gewissheit, dass der Mörder mitten unter den Bürgern von Enderby lebte und einer von ihnen war, hatten diesen spektakulären Massentest ermöglicht. Allerdings war auch dieses Mal das Ergebnis zunächst ernüchternd: Es gab keine Übereinstimmung.
    Bald stellte sich heraus warum. Der Mörder hatte Vorsorge getroffen und unter einem Vorwand einen Bekannten gebeten, für ihn mit einem auf seinen Namen gefälschten Ausweis zum Test zu gehen. Der Plan wäre vermutlich aufgegangen, hätte nicht der Zufall hilfreich zur Seite gestanden: Reichlich angetrunken hatte nämlich der Bekannte in einem Pub damit geprahlt, dass er für einen Kumpel Blut abgegeben und ihm damit aus der Patsche geholfen hatte. Über Umwegen hatte die Polizei von dem bierseligen Geständnis erfahren und den Mann vernommen. Er hatte dem Vernehmungsdruck nicht lange standgehalten und den Namen seines Kumpels genannt: Colin P. aus dem von Enderby nur wenige Kilometer entfernten Leicestershire, 27 Jahre alt, verheiratet, ein Kind, Bäcker.
    Nun war es eine reine Routineangelegenheit, das Blut des richtigen Colin P. untersuchen zu lassen. Das Ergebnis war eindeutig: Das Röntgenbild mit dem Strichcode seiner DNA war identisch mit den Merkmalen des bei Dawn A. und den anderen drei Opfern gesicherten Spermas. Die erste Aufklärung eines Verbrechens mittels des genetischen Fingerabdrucks war gelungen.
    Wenige Wochen später hielt auch ich eine verschwommene Kopie eines solchen Röntgenbildes mit Strichcodes in der Hand. Anfang November 1987 hatte ich in den Medien über den Fahndungserfolg bei der Suche nach dem Serienmörder und die spektakulären Möglichkeiten des DNA-Fingerprintings gelesen und hoffte in einem von mir bearbeiteten Tötungsdelikt auf einen eindeutigen Beweis. So sollte auch dieser Fall von mir ungeahnt Kriminalgeschichte schreiben: als erste DNA-Untersuchung bei einem in Deutschland begangenen Mord.
    Wilhelmine Heuer betrieb seit über dreißig Jahren einen kleinen Tante-Emma-Laden. Sie war eine freundliche, aufgeschlossene und couragierte Frau, der aber nachgesagt wurde, dass sie Haare auf den Zähnen hatte und ihre Ansichten vehement vertrat. Außerdem war sie gegenüber Fremden misstrauisch, manchmal geizig und schien aufgrund ihres hohen Alters von über siebzig Jahren nicht mehr so recht in der Lage zu sein, ihre Wohnung in Ordnung zu halten und im Laden die hygienischen Ansprüche ihrer Kunden zu erfüllen. Nicht zuletzt deshalb empfing sie niemanden mehr in ihrer Wohnung: Besucher wurden an der Haustür abgefertigt, Verwandte und die wenigen Bekannten, die ihr geblieben waren, traf sie ausschließlich außerhalb ihrer eigenen vier Wände.
    Nach dem Tod ihres Mannes vor über zehn Jahren hatte sie das Geschäft nicht geschlossen und lediglich die Öffnungszeiten ihrem Alter und dem stark veränderten Kaufverhalten ihrer Kunden angepasst. Diese konnten von morgens acht Uhr bis mittags um zwei Uhr bei ihr einkaufen: Backwaren und Süßigkeiten, zudem unverderbliche Waren wie Alkoholika, Zigaretten, Konserven und Waschmittel. Das stark eingeschränkte Warensortiment hatte zur Folge, dass sich ihre Kundschaft seit mehreren Jahren hauptsächlich auf Schulkinder, häufig sozialschwache Stammkunden aus der Nachbarschaft sowie Alkoholiker und Obdachlose beschränkte.

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