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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Petermann
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zum Fenster, beugte mich nach vorne und simulierte einen Schuss. Ja, so konnte es tatsächlich gewesen sein, denn dass Tom Howe trotz seiner tödlichen Verletzung noch eine Zeitlang agieren konnte, wusste ich seit der Obduktion. Daher beschlossen mein Kollege und ich, im Gleisbett nach der Tatwaffe suchen zu lassen.
    Noch bevor wir unsere Idee umsetzen konnten, kam uns der Zufall zu Hilfe. Einen Tag nach unserer Rekonstruktion und drei Tage nach der Tat fand ein Gleisarbeiter bei einem Kontrollgang an der Bahnböschung einen Revolver der Marke Smith & Wesson, Kaliber .38 Special: der Lauf mit blutigen Spritzspuren übersät, die Trommel gefüllt mit fünf Patronen und einer Hülse. Unsere Überprüfungen ergaben, dass der Zug diese Stelle am Tattag um 5.35 Uhr passiert hatte, also kurz bevor der Schaffner den toten Fahrgast erschossen aufgefunden hatte. Die waffentechnische Untersuchung bestätigte unsere Erwartungen: Das bei der Obduktion gesicherte Projektil stammte zweifelsfrei aus der gefundenen Waffe; die individuellen Merkmale des Laufes hatten ihre unverwechselbaren Spuren auf dem Projektil hinterlassen. Und noch etwas stellten die Ballistiker fest: Beim Schuss war der Lauf des Revolvers weniger als 3 cm von Tom Howes Brust entfernt gewesen – ein klassischer relativer Nahschuss , wie Schüsse bis zu einer Entfernung von etwa 30 Zentimetern bezeichnet werden.
    Allerdings sorgten die durchgeführten Vergleichsschüsse mit dem Revolver für eine Überraschung: Die Verteilung der Pulverrückstände an der linken Hand des Toten sprach gegen einen selbst beigebrachten Schuss. Stattdessen deutete sie eher darauf hin, dass Tom Howe die Hand auf die Schusswunde gepresst und dadurch das Pulver-Schmauch-Gemisch vom Hemd auf seine Hand übertragen hatte. Und noch eine Überraschung lieferte das Gutachten: Auch die rechte Hand des Toten zeigte keine charakteristischen Antragungen von einem Revolverschuss.
    Bedeutete dieses Ergebnis, dass Tom Howe doch keinen Suizid begangen und ein Kapitalverbrechen vorgetäuscht hatte, sondern erschossen worden war? Ich glaubte nach wie vor nicht daran, denn wie waren sonst die Blutspuren zu erklären?
    Weitere Recherchen zu den persönlichen Lebensumständen des Toten bestärkten mich in meiner Annahme. Eindringliche Nachfragen bei seinen Mitarbeitern förderten zutage, dass Tom Howe unter finanziellen Problemen litt. Er borgte sich ständig Geld von ihnen. Zuletzt hatte er sich am Tag vor der Tat 100 DM von einem Mitarbeiter geliehen, den er zufällig auf dem Parkplatz der Kaserne getroffen hatte – nahezu zeitgleich zu der angeblichen Barabhebung auf der Bank.
    Als ein Ermittler daraufhin bei dem Geldinstitut nachfragte, konnte uns die Antwort nicht mehr wirklich überraschen. Der im Abteil vorgefundene Auszahlungsbeleg war gefälscht. Das angegebene Konto gab es bereits seit mehreren Jahren nicht mehr, und der auf dem Auszahlungsschein gedruckte Briefkopf wurde von der Bank schon lange nicht mehr benutzt. Dementsprechend fand sich im System des Geldinstituts kein Beleg über die Barauszahlung der angeblichen Versicherungssumme.
    Der dienstliche PC von Tom Howe brachte Gewissheit. Kurz vor seiner Abfahrt nach Bremen hatte der US-Amerikaner private Dateien gelöscht, die wir jedoch wieder herstellen konnten. In einem Brief an einen Freund vom Anfang des Jahres hatte Tom Howe geschrieben, dass er von Tag zu Tag müder werde und ernsthaft überlege, »die .38er zu nehmen und die ganze schmerzhafte Scheiße zu beenden«.
    Bei dem Freund handelte es sich ebenfalls um einen früheren amerikanischen Militärangehörigen, gegen den mehrere Jahre zuvor wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz ermittelt worden war. Wir vermuteten, dass er seinem Militärkollegen während der Ermittlungen den Revolver überlassen hatte, damit die Waffe nicht beschlagnahmt werden konnte. Eine Überprüfung bei der Verwaltungspolizei seines Wohnortes ergab, dass der Mann Mitte der siebziger Jahre eine Waffenbesitzkarte für einen Revolver der Marke Smith & Wesson erhalten hatte – die Seriennummer war identisch mit der neben der Zugstrecke gefundenen Tatwaffe. Der Kreis hatte sich geschlossen.
    Das eigentliche Tatgeschehen ließ sich abschließend folgendermaßen rekonstruieren: Nachdem Tom Howe die Kleidung in seinem Abteil verstreut und Ehering, Scheckkarte und Socke auf dem Gang platziert hat, öffnet er das Abteilfenster und stellt sich davor. Er schießt mit seiner linken Hand in seine rechte Brust

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