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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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gravitationsfreier Tunnels, die dann mit ihnen in der Ferne verschwanden. Gigantische Luftlilien, wunderschön mit ihrer imposanten und zugleich fremden Lebenskraft, schwebten nah am Erdboden und trennten das Getriebe der Welt oben von der der Natur geschenkten Oberfläche des Planeten unten …
    »Ich verstehe dich«, sagte Radiwill leise und ruhig. »Es ist schrecklich. Jahrtausendelang bauen wir ein großes Imperium auf, Milliarden von Menschen sind glücklich. Sie wollen leben. Sie wissen, dass der Satan sie nach wie vor bedroht, aber wir sind dafür da, um sie vor ihm in Schutz zu nehmen. Und plötzlich … Wir sind machtlos. Dem, was auf uns zukommt, können wir nichts entgegensetzen. Überleben werden nur diejenigen, die im Einklang mit dem großen Gewissen gelebt haben. Vielleicht spricht jetzt der Egoismus durch mich, aber wir werden doch überleben, also gibt es keinen Grund zu verzweifeln.«
    Colloni schüttelte den Kopf, langsam, als hätten ihn alle seine Kräfte verlassen. Er zitterte am ganzen Leib, obwohl auf seinem aschfahlen Gesicht das allen bekannte Lächeln zu sehen war. Er sah jetzt unheimlich aus.
    »Wir werden überleben, sagst du?«, versuchte er aufzulachen.
    »Wir leben doch im Einklang mit dem Gewissen.«
    Colloni verzog seine Miene zu einem noch breiteren Lächeln. Er sprang vom Sessel auf, klappte den Mund auf, machte ihn zu, setzte sich, lachte krächzend geräuschlos, richtete sich wieder auf und warf seinen Kopf nach hinten und über seine Wangen kullerten die Tränen. Radiwill trat zu ihm und zwang ihn mit einer Armbewegung, sich wieder in den Sessel zu setzen.
    »Bleib sitzen«, sagte er mit einem harten Ton in seiner Stimme. »Bleib sitzen und warte.« Dann blickte er auf das über dem Eingang hängende Kreuz und sagte: »Vielleicht hast du noch eine Chance.«
    Und sie warteten.
    Der in Bewegungslosigkeit erstarrte Colloni und der finstere Radiwill schauten auf das Lichtermeer der Stadt. Die Goldene Galeere raste der Erde entgegen, schneller als die schnellsten irdischen Schiffe. Sie hielt ihre Ernte, als sie an Mald, Katio, Jeonast IV, Ratton, Bed-tan … vorbeiflog.
    Es schlug sechs und die Uhrziffern auf den Fingernägeln änderten sich. Der auf dem Tisch liegende Ring zersprang mit einem leisen Knall. Inzwischen verließen schon im Sonnensystem die Seelen ihre Körper. Sie wurden ihren Körpern unvermutet entrissen – Frauen, Männer, Kinder …
    … all diese Milliarden von Seelen der Menschen, die geglaubt hatten, gut zu leben, nach den Geboten zu leben, waren jetzt durch die Macht des in ihnen vorhandenen Bösen an die Ruder gekettet … Gedanken, die sich mit aller Kraft stemmten und gegen den funkelnden Ruderschaft drückten und ihn an sich zogen …
    Es blieben nur noch der Schrei des Satans, der Trommelschlag und das Geknarre der Ruder. »Eins … zwei … Eins … zwei …«
    Und plötzlich stürzte Collonis Körper kraftlos zu Boden. Seine glasigen, nichts sehenden Augen starrten in die Helligkeit über der Stadt, in eine riesige aufgehende Sonne. Im Zentralgebäude der Seligen Scharen erschallte Geschrei und Gejammer. Jemand greinte entsetzt: »Christ!«
    Radiwill wollte gerade Gott danken, aber seine Lippen erstarrten geschlossen, die Finger krallten sich um die Armlehnen des Sessels und seine Seele verließ den erschlafften Körper.
     
    Originaltitel: ›ZŁOTA GALERA‹
    Copyright © 1989 by Jacek Dukaj
    Erstmals erschienen in ›Fantastyka‹, Juli 1989
    Mit freundlicher Genehmigung des Autors
    Copyright © 2001 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
    Aus dem Polnischen übersetzt von Jacek Rzeszotnik

 
ERIK SIMON
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Deutschland
     
Den ganzen Wachturm entlang
     
    All along the watchtower
    princes kept the view
    - Bob Dylan
     
    Es war Neumond, doch in der klaren Nacht reichte das Sternenlicht aus, dass sich der Galgen mit den beiden Gehängten im äußeren Burghof vage vor dem Himmel abhob, wo er die Mauer überragte. Der Mann, der so die beiden Toten eher ahnte als sah, hatte am frühen Morgen noch, als er mit seinem Weggefährten angekommen war, von der Vorburg aus an derselben Stelle zwischen den beiden Pfosten eine Leine mit trocknender Wäsche erblickt, später dann, noch immer von der Vorburg aus, die Hinrichtung beobachtet, ohne viel mehr als die Köpfe und die Stricke zu erblicken. Einzelheiten waren auch jetzt nicht auszumachen, und als er bei dem etwas tiefer Hängenden mit seiner Arbeit begann, reichten seine

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