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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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tastenden Hände nur bis zur Brust hinauf. Dieser Gehängte hatte weder Taschen noch Beutel, oder man hatte sie ihm schon abgenommen. Seine kurzen Stiefel aber hingen bequem in Reichweite, und der Mann konnte sie ihm geräuschlos von den Füßen ziehen. Auch darin war nichts verborgen.
    Die Stiefel wieder an die Füße zu bringen, machte etwas mehr Mühe, und der Mann unterbrach, einer Eingebung folgend, den Versuch. Die Stiefel hatten sich neu und ganz angefühlt, und wie sich zeigte, passten sie ihm wie angegossen. Er behielt sie an und zog dem Toten stattdessen seine eigenen alten und rissigen Stiefel an, dann wandte er sich dem zweiten Gehängten zu.
    Dem hing ein Beutel mit etwas Rundem und Hartem darin am Wams. Alsbald erwies sich jedoch, dass der Beutel unter den Gürtel geklemmt war, er ließ sich weder losmachen noch öffnen, jedenfalls nicht ohne heftige Bewegungen, die vielleicht Lärm verursacht und den schlafenden Wächter an der Pforte zwischen den beiden Burghöfen geweckt oder einen Wachposten auf der Mauer alarmiert hätte; auch so schon ertönte bei vorsichtiger Berührung ein leises Klingeln. Wie Geld klang es nicht, damit war auch kaum noch zu rechnen, und nach Geld suchte er nicht. So öffnete der Mann schließlich, die eine Hand an dem Beutel, mit der anderen die Gürtelschnalle. Wieder klingelte etwas, der Mann hielt sofort inne, fühlte dann nach der Rundung und bemerkte, dass der Beutel in Wahrheit nur eine Art zusammengeschlagenes Tuch war und er seitlich hineinfassen konnte. Vorsichtig zog er das Tuch noch ein Stück tiefer, fasste durch die Öffnung und ertastete den Boden eines runden Bechers oder eines kleinen henkellosen Kruges. Er drehte die Öffnung nach oben und konnte einen Schrei nicht unterdrücken, als ihn etwas in den Finger biss. Vor Schreck ließ er los, das Tongefäß fiel durch die Öffnung im Tuch und zerschellte am Boden, etwas huschte fort, und lauter ertönte das Geklingel. Der Wächter am Tor war munter geworden, langte nach seinem Spieß und brüllte, als stäke er selber dran; gegenüber kam die Wache vom vorderen Torhaus mit Fackeln. Der Mann griff nach seinem Messer, ließ es aber stecken – es hatte keinen Sinn, er würde nicht entkommen können. Und schließlich, was hatte er denn getan?
    Niemand wollte wissen, was er getan hatte. Sie fragten ihn, was er vorgehabt, was er mit den beiden Verbrechern zu schaffen habe, wer er wirklich sei und wer ihn geschickt habe. Schließlich glaubten sie ihm oder gaben vor zu glauben, er sei tatsächlich nur ein Dieb, und warfen ihn mit blutendem Mund in den Kerker. Die Glieder schmerzten ihn nicht mehr, denn er war ohnmächtig.
    Als er erwachte, gewahrte er, dass er wirklich in einem Kerker war, nicht im Verlies – es gab einen winzigen Mauerspalt unterm Gewölbe, und die Tür war zu ebener Erde. Er sah auch, dass er sein Gefängnis mit einem anderen teilte – mit demselben Manne, dem er auf dem Wege zur Burg begegnet war und mit dem er das letzte Stück des Weges zurückgelegt hatte, mit dem Narren.
    »Es muss doch möglich sein, hier herauszukommen«, sagte, nachdem der Dieb zu sich gekommen war, der Narr, als führe er einen Gedankengang weiter, »nachdem hereinzukommen so unerwartet leicht war. In die Burg haben sie mich gelassen, in den Palas mich höflichst gebeten, und hier herein haben sie mich mit noch mehr Herzlichkeit komplimentiert, ich konnte es ihnen unmöglich abschlagen. Nein, ich will mich nicht beklagen, immerhin bin ich hier zu Hause, sogar Kienspäne und ein Feuerzeug haben sie mir dagelassen. Aber die Bedienung könnte besser sein; nicht nur, dass ich einen Krug mit Wasser bekomme, während das Krämerpack meinen Wein trinkt, auch die Kurzweil kommt zu kurz, weil, seit ich denken kann, es in der Burg keinen ordentlichen Narren gegeben hat, vom Fürsten mal abgesehen. Nun ja, immerhin haben sie dich geschickt. Aber ob sich das lohnt?«
    »Redest du mit mir?«, fragte der Dieb heiser. »Und wenn ja, wovon redest du?«
    »Mit wem sonst? Glaubst du, ich rede mit mir selbst? Davon bin ich kuriert; mein letztes Selbstgespräch hat mich zu sehr enttäuscht.«
    »Nur gemach«, sagte der Dieb, so freundlich er es mit den zerschlagenen Lippen vermochte. »Wenn du reden willst, dann red geradezu und nicht in Rätseln, darüber sind wir beide hinaus. Es muss spät in der Nacht sein, und was uns am Morgen erwartet, kann ich mir denken, zumindest für mein Teil.«
    »Ich fürchte auch nicht, dass mir der neue Tag lang

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