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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Seliger, bist du da?«
    »Was ist?«
    »Ich habe mir alles, was du mir gesagt hast, durch den Kopf gehen lassen, und bin zu dem Schluss gekommen, dass da was nicht stimmt.«
    »Interessant.« Colloni war von der Widerstandsfähigkeit dieses Menschen benommen.
    »Soweit ich weiß, besitzen alle Seligen Freund-Seelen und ›Freunde‹. Warum hast du sie nicht zu diesem verdammten Schiff geschickt?«
    »Du bist gut unterrichtet. Was den ›Freund‹ betrifft, so ist er ein materielles Wesen, das nur vorübergehend, solange es in einen Gegenstand – gewöhnlich ein Kleinod – gebannt bleibt, keine Gestalt hat. Seine Chancen, die Galeere zu erreichen, sind daher praktisch so groß wie die eines normalen Menschen. Was die Freund-Seelen angeht, so leben sie mit mir in einer quasi geistigen Symbiose. Wenn sich nur eine von ihnen von mir auf mehr als zweiundsechzig Kilometer entfernen würde, müsste ich sterben. Ich verrate es dir, da du sowieso mit niemand mehr kommunizieren wirst. Hoffentlich begreifst du, wem du dein Glück verdankst?«
    Condway antwortete röchelnd, aber Colloni konnte trotz zahlreicher Verstärker kein einziges Wort davon verstehen.
    Er zuckte die Achseln und schaltete die Apparatur aus.
    Michael Condway starb schnell, ohne Gejammer und dramatische Szenen.
    Das Lächeln erstarb auf den Lippen des Seligen, der sich plötzlich unsicher fühlte. Er fluchte und ging auf einen Schluck des Sardway 2986 hinaus.
    Und Condway, endlich frei, körperlos und keinen Schmerz mehr empfindend, schwebte zum sternübersäten gastfreundlichen Himmel hinauf.
    Die kühle Luft durchdrang ihn wie einen unsichtbaren Rauch. Der ihn umgebende Raum kam ihm bekannt vor, als hätte er seit Jahren nichts anderes getan als jeden Grashalm, jeden Stein, jeden Hügel und jeden Baum zu beobachten. Als er seine Augen, die er nicht mehr hatte, schloss, konnte er genauso gut über der Erde dahinfliegen, auf einem schon früher bekannten Weg, den es aber erst geben würde, wie den Geräuschen der Nachtstille lauschen, obwohl er keine Ohren mehr besaß. Auch die Gerüche, die sich über dem übervölkerten Planeten dahinbewegten, vermochte er mit seinem ganzen Körper, den er nicht mehr hatte, den er nicht mehr haben wollte, zu spüren.
    Er verspürte das Bedürfnis, den schweren, drückenden Müllballast Verstand loszuwerden. Er straffte sich, wurde schlanker wie ein Adler, der zum Sturzflug ansetzt, nachdem er sein Opfer gesichtet hat. Das Verlangen, schnell und sinnesbetäubend zu fliegen, schoss in ihm wie die Lava unter dem Vulkan auf, und als sie explodierte, plötzlich – heiß, kalt, eine Fontäne von Farben, die seine toten Augen noch nie gesehen hatten, eine Kaskade von Klängen, die seine toten Ohren noch nie vernommen hatten … Sie war alles, was der Satanist während seines verdammten Lebens nie erfahren hatte … Wenn er könnte, würde er jetzt lachen, das Weltall beweinen, das so sinnlos war.
    Und als er so die Sonne umkreiste, kaum eine Sekunde nach seinem Tod, drang ein künstliches, einprogrammiertes Bild der majestätischen Goldenen Galeere in seine Erinnerung ein. Und erstarrte Condway in seinem Trauer-Lob-Tanz, erstarrte sein Herz, das sein Bewusstsein, sein Denken und sein Wille war, erstarrte die Seele des Neosatanisten Michael Condway.
    Reumütig wie ein Pilger unterdrückte Condway seine Gefühle, die in einem Umkreis von mehreren Kilometern getobt hatten. Wie ein Pilger, obwohl der Hass, den er wie den Katechismus jahrelang gelernt hatte, in ihm brannte, ihn verbrannte … Ach, Shaaah, wie sehr er Colloni hasste. Er hasste ihn, weil Colloni ihn der Möglichkeit, Satan zu werden, beraubt hatte. Er hasste ihn, weil Colloni ihn zum ersten Mal seit dem Gelübde gedemütigt … gedemütigt und dies überlebt hatte. Er hasste ihn, weil Colloni ihn dazu gezwungen hatte, etwas zu tun, wovor seine Seele … wovor er sich fürchtete und was er nicht tun wollte! Er hasste ihn, weil Colloni verursacht hatte, dass er jetzt rein wie ein frommer Christ und nicht wie ein langjähriger Satanist war. Und schließlich hasste er ihn, weil er Colloni hasste und zugleich ihm gegenüber machtlos war.
    Hasserfüllt stürzte er sich dem fernen Stern entgegen. Er wusste, wann und wo er seine Lust oder Unlust einzusetzen hatte. Er wusste es und dieses Wissen über den Weg war ihm genauso verhasst wie Colloni.
    Er raste … raste … raste …
    Und er wünschte anzuhalten, aber er konnte nicht anhalten, weil sein Wunsch sich viel später

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