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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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versorgen, selbst wenn das übrige LA in den Zustand der Feuersteins zurückkehrte. Was wirklich beinahe der Fall gewesen wäre. Das Beben an sich war schlimm genug gewesen, aber dann war es zur Tschemorange- Kernschmelze gekommen.
    Trotzdem gab es dort zu viele Immobilien, als dass man aufs Betteln angewiesen gewesen wäre. Schließlich waren es die Groß-Singapuraner gewesen, die den Großteil des Schlamassels aufräumten, und die Groß-Singapuraner, die schließlich die kryogenischen Gewölbe von Ultralife ausgruben. Da sie weder die Rechte der Lebenden noch die Unverletzlichkeit der Toten hatten, war der gesetzliche Status der Eingefrorenen gelinde gesagt recht schwammig gewesen. Während die besten Rechtsexperten, die man für Geld kaufen konnte, im Cyberspace sich die Geweihe abstießen, schafften die Singapuraner ohne viel Worte zu machen die Tiefgefrorenen aus dem Lande.
    Ein Jahr später hatte sie jeder vergessen. Aber sie waren nicht verlorengegangen.
    Sie warteten in einem Gewölbe eine Meile unter Singapur, bis die Technik und – notwendigerweise – die Wirtschaft so weit fortgeschritten waren, dass sie wiederbelebt werden konnten.
     
    Lange Zeit nahm Sapphire nichts wahr .
    Es gab keine Empfindung, kein Bewusstsein einer niedrigen Stufe, nicht einmal Träume. Aber irgendwie – als das Nichts endete – kam sich Sapphire vor, als hätte sie etwas überstanden, was länger gedauert hatte, als sie unschwer ausdrücken konnte. Es war, als stecke man eine Kassette in einen Videorecorder und warte durch eine Ewigkeit statischer Geräusche, ehe der Copyright-Hinweis aufrollte, abgesehen davon, dass hier jede Berieselungsmusik fehlte.
    Das erste, was sie spürte – und mehrere Jahre lang das Einzige –, war die Zeit. In riesigen roten Lettern dargestellt, wie die Digitalanzeige eines alten Radioweckers. Es schien das Einzige im Universum zu sein; sie schwebte weniger in der Schwärze als in einem Fegefeuer von Nichtexistenz. Sie konnte die Uhr weder ignorieren noch den Blick von ihr abwenden, und es war ihr buchstäblich unmöglich, sich etwas hinter der Uhr oder um sie herum vorzustellen. Sapphire war nicht dumm, daher brauchte sie nicht lange, um herauszufinden, dass die Uhr in ihr Gehirn projiziert wurde; alle äußeren Daten wurden sorgfältig aus ihrem Sensorium herausgefiltert.
    Einige Zeit lang war sie der Uhr gewahr, ohne wirklich zu registrieren, was sie ihr verriet. Aber allmählich – es war unmöglich abzuschätzen, wie lange es dauerte – nahm Sapphire Notiz davon, was die Uhr ihr mitteilte. Es hätte schockierend sein müssen, aber in ihrem gegenwärtigen Zustand war Sapphire wirklich nicht imstande, schockiert zu werden. Was sie erlebte, war mehr das Gefühl einer geringfügigen Störung.
    Sie war im Jahre 2008 eingefroren worden. Jetzt – der Uhr zufolge – schrieb man das Jahr 2024. Sie hatte kaum Zeit, die Irrealität dieses Umstands zu bewältigen, als die letzte Ziffer in der Jahresanzeige um eins zunahm, und es war 2025. Und kurze Zeit später 2026. Die Monate flitzten vorbei, und die beiden Stellen, welche die Tage eines jeden Monats zählten, verschwammen in einem ständigen Wechsel. Es wirkte abgedroschen, wie das alte Film-Klischee der vorbeiflatternden Kalenderblätter oder der rasenden Zugräder.
    Außer dass dies wirklich war – zumindest nahm sie es an.
    Aber es hatte nicht im Vertrag gestanden, nicht soweit sie sich erinnerte. Ultralifes Publicity-Unterlagen zufolge sollte Sapphire während ihres Gefrierstadiums überhaupt nichts wahrnehmen. Vielleicht ein paar merkwürdige Empfindungen während der unmittelbaren Zeitspanne vor der Wiederbelebung (die Firma sicherte sich damit nur ab, da noch niemand die Technik entwickelt hatte), aber nichts dieser Art.
    Jetzt zählte man 2028. Aber verdammt, wenn nicht etwas anders geworden war. Die verwischten Tagesanzeigen veränderten sich noch immer unlesbar schnell, aber die Monate schienen sich nicht mehr so rasch zu bewegen. Mehr noch, der Zwischenraum zwischen den Jahren schien sich auszudehnen, langsam, aber beharrlich. Sapphire sah zu – nicht so sehr fasziniert als völlig hingerissen –, wie das Jahr zu 2029 wurde, und dann – jetzt langsam merklich 2030. Um 2031 verringerte sich das Tempo immer mehr. Sie konnte einzelne Tage ausmachen, sie spürte einen perversen Stich des Verlusts, als ihr Geburtstag ungefeiert vorbeiflitzte.
    Bis zum Jahre 2032 kroch die Zeit entschieden dahin. Ende Mai wechselten die Tage im

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