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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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gehalten hat. Und kümmere dich nicht um das Mastvieh – sie machen immer Krawall, wenn die Züge anhalten. Sie glauben, es seien die Ställe.«
    Muller nickte und sprang hinaus. Er benutzte seine Taschenlampe, um seinen Weg entlang der Seite des Lastwagenzuges 78 zu finden. Die Mitsubishi-Zugmaschine hatte drei Anhänger, jeder von ihnen ein Gitterkasten, vollgestopft mit schnaubenden Cadman-Rindern. Muller wollte den Gitterstäben mit dem Gesicht nicht zu nahe kommen. Er konnte den Druck der Tiere spüren, ohne sie zu sehen, als ob alle Kühe in jedem Anhänger zu einer einzigen aufgegangenen Teigmasse hinter den Stäben zusammengeschmolzen wären. Nahe dem Ende des Anhängers ratterte das Seitengatter, riss mit jedem Hufschlag an Ketten und Schlössern. Muller kniete jedes Mal nieder, wenn er an einer der Kupplungen vorbeiging, leuchtete mit der Stablampe unter das Fahrgestell.
    »Die Stromleitung ist hier unterbrochen, Rawlinson«, sagte er und übertönte mit seiner Stimme die Rinder. »Könnte das der Grund sein, dass die Bremsen des Anhängers gegriffen haben?«
    »Nee. Wir machen alle Sicherungen ab, ehe sie das Depot verlassen.« Rawlinson zündete eine Zigarette an. »Wenn wir das nicht täten, würden sie uns alle paar hundert Meter alles lahmlegen.«
    Muller wog seine Worte sorgfältig ab. »Das klingt nicht besonders sicher, Rawlinson. Wenn das Gefährt plötzlich anhalten müsste, könnte sich der ganze Zug ineinander schieben.«
    Er dachte an ein legendäres Verkeilen auf der Pan-American, wo sich die Straße in Serpentinen durch das Vorgebirge der Atacama wand. Ein Tanker hatte zu hart gebremst, um einem Felsblock auszuweichen, der in der Mitte der Straße heruntergefallen war. Wegen der kaputten Anhängerbremsen hatte sich die ganze Einheit um neunzig Grad gedreht, sodass die hintere Hälfte des Tankers über den Straßenrand ragte. Der Tankinhalt war nach hinten geschwappt, bis das Gewicht den ganzen Lastwagenzug über den Rand zog. Das war im Jahr 2011 gewesen, als die meisten Verbindungen noch immer Fahrer einsetzten. Damals war neben der Straße ein Erinnerungsschrein errichtet worden, ein geduldig gepflegtes Plastikhäuschen mit Plastikblumen.
    »Also«, sagte Rawlinson. »Sie sind nur Mastvieh, und vorn ist niemand, um den man sich Sorgen machen müsste.« Er versetzte Muller einen rauen Schlag zwischen die Schulterblätter. »Steck dieses Kästchen jetzt vorn an.«
    Der Aufbau saß auf einem sechsrädrigen Fahrgestell, ein keilförmiger Bug gerippt mit gebogenen Stahlstäben. Es gab keine Fenster, nur einen knollenförmigen Vorsprung auf dem Dach, der wie ein Dinosaurier-Horn nach vorn ragte und die Sensorsysteme des Lastwagenzugs und die Navsat-Apparatur enthielt. Es sah bösartig aus, und das Schnaufen der im Leerlauf arbeitenden Turbine klang wie ein anhaltend tierischer Atemzug.
    Muller schnippte den oberen Verschluss der Abdeckung auf, wickelte das optische Kabel ab und steckte es ein. Ein paar Augenblicke später rollten die ID und die Kennwerte des Straßenzuges über den Schirm. Die Zahlen waren schwierig zu interpretieren, daher ließ er den Sleevetop eine graphische Darstellung des Motors generieren – direkt per Laser in die Augen eingestrahlt, sodass die Turbine über seinem Sleevetop zu schweben schien. Er hakte die Lampe am Gürtel fest und benutzte die freie Hand, um Teile des Motorenholos verschwinden zu lassen, bis die Turbinenschaufeln sichtbar wurden. Laut technischen Angaben waren sie aus Monokristallen gefertigt, daher war es höchst unwahrscheinlich, dass eine zerbrochen war. Aber wer wusste schon, wozu der Staub hier draußen fähig war oder welche Sicherheitsvorschriften Cadman außer Acht gelassen hatte.
    Die Turbinenschaufeln waren jedoch intakt, sie waren nicht einmal heißgelaufen.
    Muller überprüfte alles übrige, aber er hatte von dem Augenblick an, da er sie gehört hatte, gewusst, dass die Turbine völlig in Ordnung war. Der einzige Grund, warum sie im Schongang lief, war der, dass der Fahrer angehalten hatte. Außer, rief er sich in Erinnerung, dass es keinen Fahrer gab, nur Software – und auch das stimmte nicht wirklich.
    Rawlinson trat gegen die Reifen, als ihn Muller auf der anderen Seite des Zuges erreichte. »Alles in Ordnung, nicht wahr?«
    »Dem Fahrzeug fehlt nichts, Rawlinson. Zumindest nichts Mechanisches. Das wollten Sie vermutlich hören.«
    Rawlinson, der im Mondlicht stand, zuckte die Achseln. »Wenn bei diesen Kreuzungen eine

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