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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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gerade wieder einmal der Schmerz durch sein Bein, denn der Rest dessen, was er sagen wollte, ging in einem Stöhnen unter.
    Brahes Gesicht nahm einen harten Zug an, und er fixierte Perdy mit starrem Blick. »Wir bleiben noch hier. Morgen werden wir unsere Vorräte überprüfen.« Und mit einem Seitenblick auf mich. »Deine natürlich auch.«
    Ich nickte. »Und was machen wir heute Nacht?«
    »Wieso heute Nacht?«
    »Was machen wir wegen der …?« Ich zögerte, wollte Abos sagen, doch da sich die anderen hartnäckig weigerten, sie so zu bezeichnen, passte ich mich ihren Gebräuchen an und nannte die Ureinwohner Wilde.
    »Das Feuer hochhalten und Wache schieben«, meinte Jonathan lakonisch.
    »Und hoffen, dass sie nichts im Schilde führen«, ergänzte Brahe.
    »Glaubt ihr, das nützt etwas?«
    »Nur wenn sie sich dadurch abschrecken lassen. Ansonsten …« Jonathan machte eine eindeutige Geste mit der Handkante am Hals entlang. Er stand auf und holte von dem ein paar Meter entfernt schon im Dunkeln liegenden Holzstapel einen Armvoll Äste, die er in die schon bedenklich kleinen Flammen legte. Kaum hatte das Feuer neue Nahrung erhalten, breitete sich der Lichtkreis wieder weiter in die Dunkelheit hinein aus. Ein paar Minuten starrten wir alle in die Nacht, doch wirklich erkennen konnte man nichts. Trotz der klaren Luft und den unzähligen, hell schimmernden Sternen – das Kreuz des Südens stellte sich bei seinem Weg über das Firmament schon langsam auf den Kopf – und einer schmalen Mondsichel über dem westlichen Horizont, herrschte jenseits des Feuerscheins undurchdringliche Finsternis. Außer dem Knacken der Äste im Feuer war kaum ein Geräusch zu hören. Die Abos, ging es mir durch den Kopf, würden bestimmt auch keins machen. Ab und zu hörte man von den Pferden ein Hufscharren oder ein Grunzen aus Richtung der Kamele.
    »Also, dann teilen wir mal die Wache ein«, meinte Brahe. »Doc, du bist der Erste. Es ist jetzt« – er zog umständlich seine Taschenuhr aus der Jackentasche und hielt sie in den Lichtschein des Feuers – »zehn Uhr. Wir lösen uns alle zwei Stunden ab. Nach dir bin ich dran, dann Jonathan, und Perdy als letzter. Danach ist sowieso Zeit aufzustehen.«
    »Ich schon wieder«, maulte Jonathan. »Keine vier Stunden Schlaf am Stück. Soll Perdy doch die dritte Wache übernehmen.«
    »Morgen trifft es einen anderen. Heute bis du dran.«
    Jonathan verzog sich an den Rand des Lichtkreises, dessen verschwimmende Grenze mit dem Auf- und Ablodern der Flammen wie Ebbe und Flut hin und her schwappte. Er wühlte sich in sein Bündel Decken, während Perdy etwas abseits, doch nicht sehr weit, geräuschvoll pinkelte. Ich schaute sehnsüchtig zu meinem Swag, der neben Patton unter dem Dig Tree lag. Brahe zog seine Pfeife aus der Jacke und steckte den Rest des Tabaks, der sich darin befand, mit dem glühenden Ende eines dünnen Zweiges an. Kurz darauf stiegen beißende Qualmwolken aus dem Pfeifenkopf. Ich blickte zum Sternenhimmel hinauf und konnte mich an dem klaren Band der Milchstraße nicht mehr erfreuen, wie noch vor ein paar Tagen. Den Sternen war egal, ob man das Jahr 1861 oder 2001 schrieb. So ziemlich allen, meine neuen Gefährten eingeschlossen, war wahrscheinlich egal, welches Jahr man schrieb. Mir nicht. So wie das Licht der Sterne, obwohl mit kaum vorstellbarer Geschwindigkeit, doch nur über lange Zeiträume durch die unendlichen Weiten zur Erde sickert, hatte auch die Tatsache, dass ich über hundert Jahre in der Vergangenheit gestrandet war, Zeit gebraucht, in mein Bewusstsein zu dringen. Doch jetzt, in diesem Moment vielleicht durch die verhaltene Auseinandersetzung über das, was weiter passieren sollte, war mir meine Lage endgültig klar geworden. Und es war keine Erkenntnis, die mir irgendeine Hoffnung ließ. Ich musste an Pattons Bein denken und den Stand der Medizin im neunzehnten Jahrhundert. Jede kleine Verletzung konnte mein Tod sein. Es gab keine Antibiotika, außer dem kleinen Vorrat, den ich bei mir hatte, dafür Seuchen jeder Art. Hatte ich überhaupt eine Chance zu überleben? Andererseits, konnte ich nicht zum Wohltäter der Menschheit werden? Ein neuer Nostradamus, nur im Unterschied zu diesem, würden meine Prophezeiungen nicht aus vagen, kaum entschlüsselbaren, mehrdeutigen Anspielungen bestehen. Ich könnte den Ausbruch des Krakatau vorhersagen, den Untergang der Titanic verhindern, den Ersten Weltkrieg, indem ich Franz Ferdinand vor Sarajewo warnte. Ich könnte

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