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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Nacht. Wir kuschelten uns unter Decken zusammen. Keiner wollte der Erste sein, der weinte, also weinte niemand. Zwischen den großen Flugzeugen und den vielen Leuten, die schrien und sich stritten, herrschte keine Ruhe, niemals. In der ersten Nacht hörte ich Schüsse. Ich hatte noch nie zuvor Schüsse gehört, aber ich erkannte sie sofort als solche.
    In diesem St. John waren wir keine Leute von Bedeutung mehr. Wir waren überhaupt nichts mehr. Wir waren eins acht drei zwei. Der Priesterkragen meines Vaters brachte ihm keine Hochachtung ein. Als er am ersten Tag zur Zapfstelle ging, um Wasser zu hohlen, wurde er von jungen Männern niedergeschlagen, die ihm den Plastikeimer stahlen. Der Kragen war ein Symbol des Verrats Gottes. Von da an trug mein Vater seinen Kragen nicht mehr; bald darauf ging er überhaupt nicht mehr hinaus. Er saß im hinteren Teil des Zeltes, hörte Radio und betrachtete seine Bücher, die immer noch zu Bündeln verschnürt waren. St. John zerstörte den Rest der Dinge, die sein Leben zusammengehalten hatten. Ich glaube, wenn wir nicht gerettet worden wären, wäre er zu Grunde gegangen. An einem Ort wie St. John bedeutet das den Tod. Wenn man zu dem Lastwagen ging, wo die Essensausgabe stattfand, sah man diejenigen, die auf dem Weg zum Tod waren; sie saßen vor ihren Zelten, hielten die Zehen umklammert, schaukelten vor und zurück und starrten auf den Erdboden.
    Wir verbrachten fünfzehn Tage im Lager – ich machte für jeden Tag mit einem abgebrannten Streichholz einen Strich an die Zeltwand –, als wir den heranfahrenden Wagen hörten und dann die Stimme, die rief: »Jonathan Bi. Kennt irgendjemand Pfarrer Jonathan Bi?« Ich glaube, mein Vater hätte nicht überraschter aussehen können, wenn Jesus seinen Namen gerufen hätte. Unser Retter war der Pfarrer Stephen Elezeke, der das Church Army Center in der Jogoo Road leitete. Er und mein Vater hatten gemeinsam Theologie studiert; sie waren große Fußballfans gewesen. Mein Vater war Pate von Pfarrer Elezekes Kindern; Pfarrer Elezeke war, so viel ich weiß, mein Pate. Er brachte uns alle hinten in einem weißen Nissan-Minibus unter, auf dessen einer Seite die Worte ›Gelobet sei der Herr‹ mit der Trompete und auf der anderen Seite, ziemlich verbeult, ›Gelobet sei der Herr‹ mit Psalter und Harfe prangten. Er fuhr mit Gehupe durch die Gruppen junger Männer, welche die Kirchenmänner in einem Kirchenauto mit wütenden Blicken bedachten. Er erklärte uns, dass er uns übers Netz gefunden habe. Die großen Kirchen hatten die Namen bestimmter Geistlicher eingegeben. Bi war einer davon.
    So kamen wir in die Jogoo Road. Church Army war einst, vor der Unabhängigkeit, ein Ausbildungszentrum gewesen, mit einem modernen, zweigeschossigen Unterkunftsgebäude. Dieses war längst ausgeufert; jetzt war jeder freie Fleck bedeckt mit Zelten und schäbigen Holzbaracken. Wir hatten zwei Zimmer neben der Schlosserwerkstatt. Sie waren vergleichsweise komfortabel, wenn auch voll gepackt mit allem möglichen Kram, und wenn die Schlosser anfingen zu arbeiten, drang der Lärm sehr laut zu uns herüber. Es gab keinerlei Imtimsphäre.
    Das Herz der Church Army war eine kleine weiße Kapelle, geformt wie eine Trommel, mit einem strohgedeckten Dach. Die Zelte und Hütten drängten sich dicht an dicht um die Kapelle, hielten von dieser jedoch respektvoll Abstand. Sie war ein geheiligter Ort. Viele gingen dorthin, um zu beten. Viele gingen hin, um allein für sich zu weinen, damit die anderen sich nicht ansteckten wie an verschmutztem Wasser. Ich sah meinen Vater oft in die Kapelle gehen. Ich erwog, an der Tür zu lauschen, um zu hören, ob er betete oder weinte, aber ich tat es nicht. Was immer er dort suchte, anscheinend machte es ihn nicht wieder zu einem ganzen Mann.
    Meine Mutter versuchte, aus der Jogoo Road ein zweites Gichichi zu machen. Hinter dem Unterkunftsgebäude war ein Feld mit trockenem Gras, auf dessen gegenüberliegender Seite ein offener Kanal verlief. Hinter dem Kanal war ein Zaun und eine Straße und dann der Markt der Jogoo Road, dessen Name auf sein rostiges Blechdach gemalt war, und danach fingen die Elendsbehausungen wieder an. Aber dieses Feld war unberührt und frei zugänglich. Meine Mutter schloss sich einer Gruppe von Frauen an, die das Feld in Shambas umwandeln wollten. Pfarrer Elezeke war einverstanden, und sie fertigen aus alten Autoteilen in den Werkstätten Hacken, brachen die Erde auf und pflanzten Mais und Zuckerrohr an. In

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