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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Straßen, durch verwüstete Dörfer. Die Krieger hielten ihre Waffen in Bereitschaft. Ten suchte in regelmäßigen Abständen mit ihren alles sehenden Augen den Himmel ab. Jetzt konnte sogar ich den Rauch sehen, der mit dem Wind aus dem Osten zu uns her wehte, und ich roch ihn. Er roch wie verbrannte Gewürze. Ich sah, dass Meji immer noch versuchte, Menengai zu erreichen. Funkstille.
    Am frühen Nachmittag überquerten wir das Terminum. Aus der Entfernung sieht man solche Dinge recht klar. Aus nächster Nähe kriechen sie an einem hoch. Ich marschierte durch grobes Gras und dorniges Gestrüpp, als mir Streifen aus blauem Moos zwischen den Wurzeln auffielen. Seltsam gleichmäßige Moosstreifen, die in einem Winkel von genau einhundertundzwanzig Grad abknickten und sich gabelten und zu Sechsecken vereinigten. Ich erstarrte. Zwanzig Meter vor mir stand Ten in einer Welt … und ich stand in einer anderen.
    »Selbst wenn du gar nichts tust, wird es über dich kommen«, sagte sie. Ich sah nach unten. Die blauen Linien näherten sich langsam meinen Zehen. »Komm weiter!« Ten streckte die Hand aus. Ich ergriff sie, und sie führte mich hindurch. Nachdem wir zwei Minuten lang gegangen waren, hatten das Gestrüpp und das Gras vollkommen der Chaga-Vegetation Platz gemacht. Während des restlichen Nachmittags wanderten wir durch die zerstörerische Zone. Bäume fielen um uns herum zusammen, Büsche wurden von den Wurzeln abwärts verschlungen, Grasflächen zerfielen und lösten sich auf, Pilzfinger und Korallenfächer schossen zu allen Seiten hoch, Blasen schwebten um meinen Kopf. Ich wanderte durch all das hindurch wie ein Mensch in einem Brennofen.
    Meji rief unter einem Bogen von Chaga-Pflanzen, der wie die Kuppel einer mittelalterlichen Kathedrale geformt war, zum Anhalten auf. Er hatte über Kopfhörer einen Bericht erhalten.
    »Menengai wurde angegriffen.«
    Alle schrien Fragen durcheinander und lamentierten. Meji hielt die Hand hoch.
    »Es waren Afrikaner. Jemand hat sie mit chagasicherer Ausrüstung und Waffen ausgestattet. Sie hatten Abzeichen an ihren Uniformen: KLA.«
    »Wir haben Feinde«, stellte der Kluge in der Gruppe, Hamid, fest. »Die kenianische Regierung erhebt immer noch Anspruch auf die Gerichtsgewalt über das Chaga. Immer wieder erinnert sie uns daran, wer hier das Sagen hat. Sie wollen, dass wir in Bewegung bleiben, wollen verhindern, dass wir uns etablieren. Sie sind nichts anderes als Contras mit westlichem Geld und Waffen und Ratgebern.«
    »Und Menengai?«, fragte ich. Meji schüttelte den Kopf.
    »Der Allerhöchste bringt Überlebende nach Punyata.«
    Ich sah Ten an.
    »Der Allerhöchste?«
    Sie nickte.
    Wir trafen den Allerhöchsten unter dem dunklen Laubdach der großen Mauer. Es war ein angemessen düsterer Ort für die Begegnung: die glatten hohen Baumstämme; das Laubdach aus dunklen Blättern, ausgestreckt wie Hände, einen Kilometer über unseren Köpfen; die Lichtkleckse, die durch die Lücken auf den Waldboden fielen; Überlebende und Reisende, zwergenhaft klein, verglichen mit alledem. Die Bauern des Mittelalters mussten sich so vorgekommen sein, wenn sie in tiefster Ehrfurcht vor ihren Kathedralen standen.
    Es ist ein merkwürdiges Erlebnis, wenn man jemandem leibhaftig begegnet, den man aus Geschichten kennt. Am liebsten würde man sagen: ich habe schon einiges von dir gehört, du hast von mir noch nie was gehört, du bist gar nicht so, wie ich mir dich vorgestellt habe. Man unterzieht denjenigen einer eingehenden Prüfung, um herauszufinden, ob er seine Rolle dem Charakter entsprechend spielt. Seine Geschichte war einfach und bitter.
    Ein Dorf, erwachend, seinen üblichen Geschäften nachgehend, Leute, die sich trafen und grüßten, die herumliefen und redeten, Tratsch und müßiges Geschwätz, Austausch von Neuigkeiten, Kaffee trinken. Dann, Stimmen, fremde Stimmen – und Schüsse und die Leute sehen sich erstaunt um. Was ist denn hier los? Und während sie noch staunen, rennen Fremde auf sie zu, überrennen sie, Fremde mit Gewehren, die auf alles schießen, was ihnen in den Weg kommt, ohne Fragen zu stellen, ohne zu sehen oder zu hören, schießend und immer weiter laufend. Schießend und brandschatzend. Tote blieben liegen, wo sie gefallen waren, Häuser gingen wie erblühende Blumen in lodernden Flammen auf. Hindurch, zurück und hinaus. Weg. So schnell, so beiläufig. Zehn Minuten, und Menengai war ein Leichenhaus. Der Allerhöchste berichtete darüber ebenso beiläufig, wie

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