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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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ihm über den Kulturschock hinweg und brachte ihm bei, sich mit der vollkommen fremden Welt, in der er sich wiederfand, abzufinden und sogar bald anzufreunden. Sein Hirn war bis dato – man kann es ja ruhig sagen – ziemlich leer; ein jungfräulicher Garten, der reichlich Platz für neue Informationen bot. Immerhin war seine Gehirnmasse nur unwesentlich leichter als die des heutigen Homo Sapiens, und letzterer nutzt schließlich auch nur einen Bruchteil davon sinnvoll! Also eignete sich Adam nicht nur Sprache und Sitten an, sondern ein relativ umfassendes Basiswissen, das hinter dem des durchschnittlichen halbgebildeten Europäers nicht mehr nachstand.
    Ja, Adam war ein guter Schüler: er war begierig darauf, alles über unsere komplizierte Ära zu erfahren. Manchmal wunderte ich mich, ihn mit einem Buch in der Hand oder vor einem Monitor sitzend anzutreffen und zu sehen, wie in seinen klugen Augen nicht eine Spur von Zivilisationsschock zu erkennen war.
    Einmal ging ich mit ihm in den Zoo von Glasgow, doch das gefiel ihm nicht besonders, nur über die Schimpansen und Elefanten konnte er sich köstlich amüsieren. Erstere sah er aus einem mir unverständlichen Grund gerne hinter Gittern und verspottete sie grausam, letztere schienen ihm nichts als lächerliche kahlgeschorene Mammuts.
    Doch der Zoobesuch hatte ihn auf eine Idee gebracht: er rasierte sich den Pelz ab und begann sich Kleidung anzuziehen. Am liebsten hatte er Baseball-T-Shirts und graufarbene Jeans. Nun sah er aus wie eine zu klein geratene Mischung aus Sylvester Stallone und Cheeta und irgendwie wurde er von nun an von den Mitgliedern unseres Teams mit mehr Respekt, aber auch mit größerer Distanz behandelt. Mrs. Burroughs, die einfühlsame Soziologin, die ihn ein bisschen wie einen Sohn behandelt hatte, schien plötzlich nicht nur das Interesse an Adam verloren zu haben, sondern mied ihn sichtlich, fast schien es, als habe sie Angst vor ihm.
    Aber Adam brauchte weder Mrs. Burroughs noch irgendeinen anderen von uns Wissenschaftlern, die wir glaubten, für ihn verantwortlich zu sein. Viel lieber ging er in die Stadt bummeln, wo er stets im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand. Er verteilte Autogramme, ließ sich zum Essen einladen und liebte es, Zeitungs- und Fernsehinterviews zu geben. Natürlich war er schon bald zum Medienstar Nummer eins geworden, war er doch nicht nur eine Art Wunderwesen, sondern überdies schlagfertig und witzig. Gerne gestehe ich, dass auch ich mich geschmeichelt fühlte, als Reporter mich um Interviews baten, doch schon bald hatte mich Adam weit übertrumpft. Nicht die Zeitungen baten ihn um einen Termin, sondern er hängte sich selber ans Telefon und drängte sich ins Scheinwerferlicht. Mit »Dr. Frankenstein« wollte bald keiner mehr sprechen, war doch seine »Kreatur« wesentlich witziger und interessanter. Ja, witzig war er wirklich! Er plauderte lässig daher und riss Witzchen, dass man glaubte, man habe es mit einem alten Medienhasen zu tun und nicht mit einem 30.000 Jahre alten Urmenschen. Im Fernsehen sorgte er für höchste Einschaltquoten, indem er sich über die Talkmaster und die anderen Studiogäste lustig machte und sämtliche Gespräche an sich riss. Manchmal war es mir etwas peinlich, und außerdem stand er immer weniger für unsere wissenschaftlichen Zwecke zur Verfügung. Als ich ihn darum bat, auf mehrere Fernsehtermine zu verzichten, da wir einige neuropsychologische Tests an ihm durchführen wollten, antwortete er in einer ziemlich resoluten Stimmlage: »Lieber Doktor Frankenstein, ich bin nicht Ihr Eigentum, sondern ein freier Bürger dieses Landes. Ich habe nicht darum gebeten, aus meiner eigenen Epoche entführt zu werden, um von Ihnen auf dem Seziertisch der inhumanen Wissenschaft Ihrer ach so fortschrittlichen Zeit geopfert zu werden! Guten Tag.«
    Damit ließ er mich stehen, bevor ich auf seine unverschämten Verdrehungen der Tatsachen antworten konnte. Zornig zerriss ich die Photos, die ihn im Kreise irgendwelcher Medienleute zeigten, und die er im Gang unserer Abteilung aufgehängt hatte. Am nächsten Tag lieh er sich heimlich meinen Kittel und meine Ersatzbrille aus, lief durchs Institut und machte irgendwelche dummen Dr. Frankenstein-Witze, die samt und sonders auf meine Kosten gingen. Als ich ihn wütend zur Rede stellte, entschuldigte er sich süffisant grinsend mit der Begründung, er sei eben nur ein armer Primitiver und ich ihm schließlich um einige Äonen guten Benimms

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