Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
damit beschäftigt, virtuelle Gegner auszulöschen. Er beachtet mich nicht. Leider beachtet mich auch sonst niemand. Nach einigen schüchternen »Hallo«-Rufen und nachdem ungefähr fünf Scharfschützen auf dem Bildschirm eines blutigen Todes gestorben sind, verlasse ich das Lokal. Und Cleveland.
Danach wirkt selbst das Motel an der Autobahn in Indiana wie eine Oase. Zumal der Blick aus dem Fenster ein Amerika-Bild in mir wachruft, das ich seit Jugendtagen mit mir herumtrage. Glänzende, blitzsaubere Lastwagen donnern die Interstate entlang. Einer nach dem anderen. Tiefgrün, leuchtend rot, silbern funkelnd. Neben den Fahrerkabinen ragen polierte Auspuffe wie Schornsteine in die Höhe. Erinnerungen an Roadmovies werden wach, an Könige der Landstraße, an grenzenlose Freiheit. Mit diesen Truckern, oft besungen, will ich reden. Es werden ernüchternde Gespräche.
Ron Williams, 60 Jahre. Seit über 30 Jahren ist er Berufsfahrer, seit 14 Jahren fährt er die 20 Stunden von Roaring Springs in Pennsylvania nach Appleton in Wisconsin und zurück. Immer dieselbe Strecke. Papier hat er geladen. Er schläft in seinem Lastwagen – das ist billiger als ein Motel und spart Zeit. Ein, zwei Jahre will er das noch machen, dann hofft er, in Rente gehen zu können. Es ist ein einsames Leben. Seit neun Jahren ist er geschieden, die vier Kinder sieht er selten. Auf den Parkplätzen, die er für Kaffeepausen anfährt, trifft Ron Williams kaum je einen Kollegen, den er kennt. Die Unterhaltung per Funk, die andere Lastwagenfahrer zum Zeitvertreib gerne nutzen, mag er nicht.
Die Vorschriften seien strenger geworden in den letzten Jahren, sagt Ron. Die Fahrtenbücher würden viel genauer kontrolliert. Gleichzeitig sei der ökonomische Druck gewachsen. Früher habe sofort ein Kollege angehalten, wenn man mal eine Panne gehabt hätte. Jetzt nicht mehr. »Jeder kümmert sich nur noch um sich selber.« Der Verdienst? 37 Cent die Meile, etwa 4000 Dollar im Monat. Vor Steuern. Ron grinst und lässt durchblicken, dass man es auf mehr Geld bringen kann, wenn man Tricks beherrscht. Eine wiederkehrende Erfahrung: Meinem Eindruck nach lügen in den USA viele Leute ihr Einkommen gern ein bisschen nach oben, wenn sie eine Chance sehen, dass man ihnen das glaubt. In Deutschland ist es umgekehrt. Vielleicht stimmen manche Klischees ja doch. Vielleicht klagen wir wirklich einfach lieber als andere Völker.
Kevin Williams, 48. Mit Ron weder verwandt noch verschwägert. Ron ist weiß, Kevin ist schwarz. Ich weiß, dass es inzwischen heftige Diskussionen über die Frage gibt, ob nicht die Bezeichnung »afroamerikanisch« die eigentlich politisch korrekte Formulierung wäre. Mehrfach in meinem Leben habe ich mich umgewöhnt. Als Kind waren Schwarze für mich noch Neger, und ich habe auch das niemals abfällig gemeint. Dann kam vorübergehend der verschämte Begriff »Farbige« in Mode. Ich kann einfach nicht erkennen, was an der Bezeichnung »schwarz« diskriminierend sein soll. Mein früherer Ehemann ist ein schwarzer Afrikaner. Was wäre für ihn die richtige Bezeichnung? Afroafrikanisch? Bitte. In diesem Text werde ich Menschen mit dunkler Hautfarbe als schwarz bezeichnen. Wissend, dass es ebenso falsch ist, wie Menschen mit heller Hautfarbe als weiß zu bezeichnen.
Ich benutze auch den Begriff »Indianer«, obwohl der nun wirklich unsinnig ist. Diese Bezeichnung beruht bekanntlich auf einem historischen Irrtum: Kolumbus dachte bei der Entdeckung Amerikas eben, er habe einen Weg nach Indien gefunden. Sonst wären die Ureinwohner niemals »Indianer« genannt worden. Im Englischen wird das Dilemma offenkundig: Indianer werden ebenso wie Inder als »Indians« bezeichnet. Da dies verwirrt, ist man zunächst auf den genialen Einfall gekommen, die amerikanischen Ureinwohner »Red Indians« – also: »rote Inder« – zu nennen. Das ist albern. Sie sind nicht rot.
Aber Sprache ist eben nicht nur Ausdruck einer bestimmten Sicht auf die Welt – das auch, und zwar ganz unvermeidlich –, sie ist außerdem das einzig zuverlässige Mittel der Verständigung zwischen Menschen, die sonst nichts miteinander verbindet. Je umständlicher diese Form der Kommunikation ist, desto schwieriger wird diese Verständigung. Wenn ich »Indianer« schreibe, dann steht fest, wer gemeint ist. Wenn ich stattdessen jedes Mal die Formulierung »amerikanische Ureinwohner« benutze, dann nehme ich meine Leser in Geiselhaft für meinen eigenen Blick auf die Welt. Und verlange ihnen
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