Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Weltsensationen zu besichtigen gibt – die Niagarafälle im Norden des Bundesstaates und die Metropole New York im Süden – und die auch noch durch Schnellstraßen und Autobahnen miteinander verbunden sind, dann ist es für die Leute in der Gegend dazwischen nicht leicht, Touristen auf Wege abseits der Rennstrecke zu locken.
Immerhin: Manchmal scheint es zu glücken. Zwischen heruntergekommenen Orten, die es auch an dieser Strecke gibt, taucht immer wieder ein herausgeputztes Dorf auf, mit ansprechenden kleinen Hotels und sogar mit luxuriösen Villen. Und es gibt ja Cooperstown. Die Straße entlang des Otsego-Sees, an dessen Südende die Stadt liegt, ist von kleinen, idyllisch wirkenden Motels gesäumt, von denen man in jedem einzelnen absteigen möchte, um abends auf dem eigenen Balkon über den See zu blicken, in dem man tagsüber geschwommen ist.
Die Baseball Hall of Fame, 1939 gegründet, zieht nach Angaben des Museums jährlich 300000 Besucher an. Da hatte offenbar jemand, dem an regionaler Strukturförderung gelegen war, eine richtig gute Idee. Deshalb hält man auch eisern an der – inzwischen zumindest umstrittenen – Geschichte fest, dass Abner Doubleday hier das Baseballspiel 1839 auf einer Kuhweide erfunden haben soll. Drei Jahre später graduierte Doubleday übrigens in der Militärakademie West Point, und noch später war er der Offizier, der 1861 den ersten Schuss zur Verteidigung von Fort Sumter im abtrünnigen South Carolina abgegeben haben soll: den Startschuss für den Amerikanischen Bürgerkrieg. Aber das ist in Cooperstown nicht so wichtig. Hier zählt Baseball.
Man kann die nationale Ruhmeshalle und das angeschlossene Museum interessant finden, auch wenn man nichts von diesem Spiel versteht. Die Offenheit, mit der dort festgestellt wird, dass beim Spitzensport immer auch ökonomische Interessen eine Rolle spielen, verblüfft die Europäerin. Im deutschen Fußball lässt sich das inzwischen zwar auch nicht mehr leugnen, aber das Bedauern darüber, verbunden mit der regelmäßig wiederkehrenden Empörung über hohe Spielergehälter, schwillt immer mal wieder so laut an, dass niemand es überhören kann. Hier hingegen hat die New York Times schon 1891 nüchtern festgestellt, Baseball sei »nicht länger ein Sport, sondern ein Geschäft«. Ohne dass dies der allgemeinen Begeisterung irgendeinen Abbruch getan hätte. Die Tatsache, dass in der Geschichte der Vereinigten Staaten niemals ein nennenswerter Teil der Bevölkerung ein prinzipielles Unbehagen am kapitalistischen System verspürt hat, wirkt auch in Bereiche hinein, bei denen ich es spontan nicht vermutet hätte.
In der nationalen Ruhmeshalle steht eine Gedenktafel für diejenigen Spieler, die in Kriegszeiten in der Armee gedient haben. Einer im Amerikanischen Bürgerkrieg. Viele im Ersten und Zweiten Weltkrieg, einige im Koreakrieg. Und danach? Danach hat offenbar niemand mehr gedient. Die Tafel wurde am 27. Mai 2002 aufgestellt, zu früh für Afghanistan und den Irak. Aber war da nicht noch ein anderer Krieg dazwischen? Ist es wirklich vorstellbar, dass kein Baseballstar – kein einziger – je in Vietnam war? Die Gedenktafel erinnert mich an einen früheren Besuch in West Point, das dieses Mal nicht auf meiner Route liegt. Auch dort wurde der Vietnamkrieg im historischen Rückblick nur ganz beiläufig am Rande gestreift. Vom Amerikanischen Bürgerkrieg war sehr viel ausführlicher die Rede.
Es ist schon seltsam: Niederlagen werden hier nicht wie in vielen anderen Ländern nachträglich in Siege umgedeutet. Sie sollen offenbar einfach aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden. Es sei denn, es handelt sich nur um kleine Rückschläge auf einem am Ende dann doch erfolgreichen Weg. Auch mit dieser Methode kann man sich ein Selbstbewusstsein erhalten, das nicht von Zweifeln angekränkelt ist.
Am Abend erreiche ich die Niagarafälle. »Sehr hübsch«, hat John Steinbeck sie genannt und erklärt, er sei nur deshalb dort hingefahren, um die Frage, ob er sie gesehen habe, bejahen zu können. Mir geht es ähnlich. Wenn man durch die Wildnis gelaufen oder gekrochen oder geritten ist und plötzlich vor diesen riesigen Wassermassen stand, die tobend fast 60 Meter in die Tiefe hinabstürzen, dann muss dies ein überwältigender Anblick gewesen sein. Inzwischen ist er das nicht mehr. Sondern die Fälle sind tatsächlich – na ja, sehr hübsch eben. Es gibt ein Ausmaß an Rummel, das den Anlass erschlägt, um den dieser Rummel gemacht
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