Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
besonders gerne auf Hillary Clinton: »Wenn die gewinnt, wandere ich nach Kanada aus«, sagt Rita und fügt verächtlich hinzu: »Feministinnen lieben sie natürlich.« Aber Rita Huber liebt eben keine Feministinnen. Dan möchte am liebsten, dass John McCain der nächste Präsident wird: »Er ist ehrlich. Nicht so ein Politiker.« Da ist sie wieder. Die Politikerverachtung.
Aber es ist merkwürdig: So viel die beiden auch schimpfen, so oft ich ihnen auch widerspreche – niemals wird die Stimmung aggressiv, nicht einmal distanziert. Es macht beiden offenkundig Spaß, die Klingen zu kreuzen. Und sie haben ein ehrliches Interesse daran, mich zu überzeugen. Zum Beispiel hinsichtlich der Gefahr der globalen Erwärmung. Am Vortag war bekannt gegeben worden, dass der UN-Klimarat und der ehemalige demokratische Vizepräsident Al Gore den Friedensnobelpreis gewonnen haben. »Absurd«, sagen beide wie aus einem Mund. Der weltweite Temperaturanstieg sei »ein ganz natürliches Phänomen, das es schon oft gegeben hat«, meint Rita.
Dan erklärt, warum uns auch das Abschmelzen der Polarkappen nicht beunruhigen muss: Wenn man Eis in einem Glas zu Wasser werden lässt, dann bleibe die Menge exakt dieselbe, wie sich am Eichstrich überprüfen ließe. Deshalb werde auch eine große Eisschmelze den Meeresspiegel nicht einmal um einen einzigen Zentimeter ansteigen lassen. »Nicht einen Zentimeter!«, wiederholt er nachdrücklich. Aber ist nicht das Problem, dass das Polareis eben nicht im Meer schwimmt, sondern aus dem Wasser ragt? Und dass Eis, das man in einem Glas aufhäuft, eben doch eine Überschwemmung verursacht, wenn es erst mal schmilzt? Ich sei keine Wissenschaftlerin, räume ich ein, aber es gebe doch zahlreiche Wissenschaftler, die Dans Meinung nicht teilten. Er zuckt mit den Schultern: »Es gibt aber auch viele, die sie sehr wohl teilen.« Wir einigen uns darauf, dass wir eben unterschiedlichen Wissenschaftlern glauben und dass es verschiedene Ansichten in einer Demokratie ja schließlich geben müsse. Dann gießt Dan noch ein bisschen Wein nach und wir schauen zum Fluss hinüber, der inzwischen in tiefer Dunkelheit dahinfließt.
Man muss sehr mit sich und der Welt im Reinen sein, um ein so großes Interesse wie dieses Paar an anderen Ansichten zu haben, dennoch souverän und ohne jedes Zeichen der Verunsicherung an den eigenen festzuhalten – und dabei mit leichter Hand eine friedvolle, freundschaftliche Atmosphäre mit einer Fremden schaffen zu können. Noch dazu auf dem Parkplatz eines Motels.
Der 19-jährige Enkel David sei gerade an der Elite-Militärakademie West Point aufgenommen worden, erzählt Rita. Ich erwarte nun ein hohes Lob der US-Armee und ihrer heroischen Rolle im Kampf für Freiheit und Demokratie. Keine Rede davon. »Ich bin etwas besorgt«, sagt die Großmutter, die nicht verstehen kann, was der Enkel am militärischen Drill so faszinierend findet. »Aber er hat das Regiment immer geliebt, schon als kleiner Junge.« Wahrscheinlich liege es daran, dass seine Eltern geschieden seien und es ihm als Kind an geregelten Strukturen gefehlt habe. Vielleicht wirkt das Ehepaar auf mich auch deshalb so liberal – eine Charakterisierung, die sowohl Dan als auch Rita verabscheuen würden! –, weil beide im Zusammenhang mit politischen Themen jedem Pathos und allen großen Worten misstrauen. Übrigens nicht nur dann, wenn es um den eigenen Enkel geht.
Am nächsten Morgen fahre ich nach Cooperstown. Für mein Vorhaben müsse ich mir dort unbedingt die Ruhmeshalle für Baseball anschauen, hatte Rita mir geraten. »Es ist der nationale Sport schlechthin. Wenn man über die USA schreibt, dann muss man auch über Baseball schreiben.« Die Stadt, in der die Ruhmeshalle liegt, ist nach ihrem Gründer benannt, dem Vater des Schriftstellers James Fenimore Cooper. Um dorthin zu gelangen, fährt man durch die »Lederstrumpf«-Gegend, dem Gebiet, in dem die gleichnamige Romanserie des Dichters aus dem 19. Jahrhundert spielt und das noch heute so heißt wie der Titelheld. Was für ein schönes Denkmal.
Es überrascht mich, wie eindrucksvoll die Landschaft in diesem Teil der USA ist. Mit weiten Ausblicken, Flüssen, vielen Seen und majestätischen alten Bäumen. Den Staat New York hatte ich mir landschaftlich immer etwas langweilig vorgestellt, und ich kenne auch niemanden, der je hierher gefahren ist, um die Schönheiten der Natur zu genießen. In gewisser Hinsicht hat die Region natürlich Pech: Wenn es gleich zwei
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