Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Begrüßung. Er ist gar nicht ungemäht. Aber der Satz zeigt, dass sie weiß, was sich gehört. Er schließt eine Welt von Normen und Regeln ein.
Die 39-Jährige hat Gesellschaft. Ihre Freundin Pam Hayden, der die Reinigung am Ort gehört, bringt ein paar Sachen vorbei, die sie auch gerne verkauft sehen will. Wir reden darüber, dass viel zu viel einfach weggeworfen wird, was durchaus noch brauchbar wäre, und über die gigantische Menge des Plastikmülls, der sich in den USA ansammelt. Laura: »Ich bevorzuge Tupperware. Ich verstehe nicht, warum alles wegwerfbar sein muss.« Tupperware als Beitrag zum Umweltschutz? Ich muss umdenken. Aber ich glaube, sie hat recht. An portionsweise abgepackte Lebensmittel haben wir uns mittlerweile ja auch in Deutschland gewöhnt. Den Einweg-Kaffeefilter – nicht das Papier, der ganze Filter! –, der in manchen Motels in den Zimmern steht, habe ich hingegen erst hier kennengelernt. Der Sinn dieser Erfindung ist mir bis heute verschlossen geblieben.
Es gibt viele Themen, über die sich gemütlich plaudern lässt. Über das Wetter. Darüber, wie anstrengend es ist, mit zwei kleinen Kindern, drei und sieben Jahre alt, fertig zu werden.Wie erstaunlich es sei, dass es mich hierher verschlagen habe. Hier passiere doch nichts. »Obwohl ... manchmal ist ja bei uns durchaus auch etwas los«, sagt Pam versonnen. »Was denn?«, frage ich gönnerhaft und denke an entlaufene Kühe oder verbotene Liebesaffären. Sie antwortet genüsslich und erst nach einer geschickt eingelegten Kunstpause: »Na ja, sie haben gerade zwei Morde aufgeklärt, die vor 25 beziehungsweise 30 Jahren hier passiert sind.«
Die Fälle haben es in sich. Im einen geht es um eine erwürgte Frau. Ihr damals noch kleiner Sohn wurde später Polizist, erwirkte eine Exhumierung seiner Mutter, die DNA war noch verwertbar – und jetzt sitzt der nette, stille Hausmeister vom College, den alle kannten, im Gefängnis und erwartet seinen Prozess. Der zweite Fall: Ein Drogendealer soll von den drei Brüdern des Bezirksstaatsanwalts umgebracht worden sein, der – angeblich – selbst Drogendealer war und die Konkurrenz nicht schätzte. Leider hat der Staatsanwalt 1984 in Kalifornien Selbstmord begangen, nachdem er den Liebhaber seiner von ihm getrennt lebenden Frau getötet hatte. Er kann also nicht mehr belangt werden. Aber die Brüder machen sich nun ziemliche Sorgen und belasten sich deshalb gegenseitig.
All das erzählen die beiden Landfrauen entspannt und behaglich, und sie versichern mir, ich könne alle ihre Angaben im Internet überprüfen. Dort würde über beide Fälle ausführlich berichtet und heftig diskutiert. Internet? Natürlich Internet. »Ich verbringe Stunden davor«, sagt Laura. »Es macht geradezu süchtig.« Provinz? Es gibt keine Provinz mehr. Selbstverständlich habe ich später im Internet nachgeschaut. Kleine, nicht besonders wesentliche Details weichen von der Erzählung ab. Aber im Großen und Ganzen stimmen die Geschichten. Was beweist: Das wahre Grauen lauert immer hinter Butzenscheiben. Auch dort, wo sie inzwischen durch Thermopanescheiben ersetzt worden sind.
Die Morde sind aufregend – und für den Alltag von Laura und Pam bedeutungslos. Für weniger spektakuläre Meldungen gilt das nicht. »Heute macht hier ein Wal-Mart auf«, sagt Laura. Beide Frauen lächeln verächtlich. »Das wird nur dem kleinen Mann schaden.« Einzelhändler könnten gegen die Konkurrenz nicht bestehen. Pam und Laura versichern, dass sie niemals in dem neuen Groß-Supermarkt einkaufen werden. Ich glaube ihnen kein Wort. Mag sein, dass sie das jetzt fest vorhaben, aber auf Dauer werden sie der Versuchung der Billigangebote nicht widerstehen können.
Meine Großeltern betrieben in Braunschweig einen kleinen Laden mit frischem Obst und Gemüse. Sie hatten auch einige Dosen im Angebot. Dann machte unten an der Ecke Struss auf. Ein Supermarkt. Er verkaufte die Dosen ein paar Pfennige billiger. Meine Großmutter war persönlich gekränkt, wenn Kunden ihr Geschäft mit Tüten von Struss betraten. Viele, vor allem die Stammkunden, hatten ein schlechtes Gewissen. Manche gingen sogar erst mit den Tüten nach Hause, wie meine Großmutter mit Argusaugen und unversöhnlich durch die Scheibe beobachtete, und danach kamen sie mit »sauberen Händen« zu meinen Großeltern. Aber gekauft haben sie bei Struss. Alle.
Laura Dutter-Nelson und Pam Hayden haben fast ihr ganzes Leben hier verbracht. Laura lebte zwar während des Studiums in
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