Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
extreme Witterungsverhältnisse herrschen. 49 Grad Celsius im Sommer und minus 51 Grad im Winter sind in North Dakota schon gemessen worden. Hagel, Schneestürme und Tornados gehören so regelmäßig zum Klima wie der Wechsel der Jahreszeiten. Dann doch lieber bewölkt mit Flecken von blassblauem Himmel.
Ausländer haben sich hier relativ spät angesiedelt. Europäische Bauern kamen erst nach 1870 – vor dem Bau der Eisenbahn war der Transport landwirtschaftlicher Güter wegen der großen Entfernung zu den wirtschaftlichen Zentren der USA zu schwierig. Auch der Pelzhandel hat hier erst spät begonnen. Die Bedingungen waren zu hart für weiträumige Handelsbeziehungen, zu abgelegen war die Gegend. Die Beziehungen zwischen einheimischen Indianern und Einwanderern entwickelten sich friedlicher als anderswo. Große Schlachten wie weiter im Westen hat es nicht gegeben. Gut bekommen ist der Kontakt mit den Fremden allerdings den Leuten nicht, die ursprünglich in dieser Region einmal zu Hause waren. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fielen die meisten Indianer in North Dakota einer Pockenepidemie zum Opfer. Die Urbevölkerung hatte – wie auch andernorts – darunter zu leiden, dass ihr Immunsystem über keinerlei Abwehrkräfte gegen eingeschleppte Krankheiten verfügte.
Am Rand der US-Route 2 zwischen Grand Forks und Devils Lake steht ein historischer Gedenkstein neben zwei Kästen mit verwelkten gelben Blumen: »Entlang dieses Weges haben Indianer Fracht und Post für die US-Regierung transportiert. Von Fishers Landing nach Fort Totten in den Jahren 1879 bis 1882.« Damals hätten sie es doch eigentlich schon besser wissen sollen. Verbrennen hätten sie das Zeug müssen, wenn sie begriffen hätten, was gut für sie gewesen wäre.
Je größer der Abstand, desto leichter fällt Radikalismus. Auf fremdem Arsch ist gut durch Feuer reiten. Bin ich sicher, dass ich damals nicht zu jenen Einheimischen gehört hätte, die zu friedlicher Koexistenz geraten hätten? Was hat denen, die Widerstand gegen die fremden Usurpatoren geleistet haben, dieser Widerstand genutzt? Usurpatoren ist auch ein Wort, das sich im Hinblick auf manche historischen Situationen nur mit großer zeitlicher Distanz flüssig benutzen lässt. Die irische Bäuerin, die wegen der Hungersnot in ihrer Heimat in die Neue Welt gekommen ist, hat sich gewiss nicht als Teil einer Besatzungsmacht gesehen. Die Demokraten, die nach der Revolution von 1848 vor politischer Verfolgung aus Deutschland hierher geflohen waren, haben das auch nicht getan.
Von der Vergangenheit in die Gegenwart: Nur einmal angenommen, als irreales Gedankenspiel, das Oberste Gericht der USA urteilte heute, das gesamte Land müsse den Indianern zurückgegeben werden – wäre ich begeistert? Nein. Wäre ich nicht. Die Folgen wären unabsehbar und fürchterlich. Innerhalb der Vereinigten Staaten, aber nicht nur dort. Sondern weltweit. Mit diesen Überlegungen sollen nicht der größte Landraub der Geschichte und die blutige Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung auf dem Gebiet der heutigen USA gerechtfertigt werden. Es soll nur ein wenig Schaumlöscher in die Flamme der Empörung gespritzt werden, die in Europa oft durch Sentimentalität genährt wird.
Allerdings gibt es auch gute Gründe für unsentimentale Feststellungen, die deprimierend sind. Nach wie vor ist die wirtschaftliche Lage der Indianer signifikant schlechter als die des Durchschnitts der Bevölkerung. Sie sind weniger gut ausgebildet, verdienen weniger, sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen und leben deutlich häufiger unterhalb der Armutsgrenze – und all das gilt auch für die 85 Prozent, die nicht in Reservaten leben. Dort kann die Arbeitslosenrate auf bis zu 70, 80 oder gar 90 Prozent hochschnellen.
Im Reservat am Rande des Devils Lake, des Teufelssees, versucht man, die Finanzen mit einem Spielkasino aufzubessern. Aber anders als Foxwoods in Connecticut glitzert es nicht, sondern es sieht billig und seltsam traurig aus. Die Automaten sind die gleichen, natürlich, aber viele sind kaputt, der Teppich ist abgetreten und manche Leute, die hier sitzen, wirken so, als sei der einarmige Bandit ihre letzte Chance auf Rettung. Das Kasino bringt auch deutlich weniger ein als das in Foxwoods. Wie viel nutzt es den Bewohnern des Reservates überhaupt? Gegner des Glücksspiels reden von Korruption und davon, dass vor allem auswärtige Geschäftspartner den großen Reibach machen. Ob das stimmt, kann ich
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