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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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ist. Früher habe jemand, der eine Farm von etwa 8000 Hektar besessen habe – also zehnmal so viel Grund und Boden wie er –, ungefähr 40 Leute beschäftigen müssen, um das Land zu bestellen, sagt der Farmer. Und die hätten auch noch alle ihre Familien davon ernähren müssen. Heute, mit all den Maschinen und dem genveränderten Saatgut, genügten sechs Hilfskräfte. Das sei schon eine sehr große Ersparnis. Ja, das ist es wohl. Es erklärt unter anderem, warum die Schule in Sheyenne schließen musste. Was sich hingegen erst noch zeigen muss: für wen das am Ende eine Ersparnis bedeuten wird.
    Genmanipuliertes Saatgut hat ebenso wie die Industrialisierung in den letzten Jahren die Tendenz der Konzentration in der Landwirtschaft gefördert. Kleinbauern haben es auf die Dauer immer schwerer, konkurrenzfähig zu bleiben. Das genveränderte Saatgut ist teuer und patentiert, es kann nur einmal verwendet, muss also jedes Jahr neu gekauft werden.
    Hat James Randy keine Angst, dass seine Farm über kurz oder lang – eher über kurz – von einem Großbetrieb geschluckt werden wird? Er zuckt die Achseln. Nein, hat er nicht. Er hält die ganze Diskussion über genmanipulierte Nahrungsmittel für albern. Übrigens habe auch noch niemand Gesundheitsschäden für die Konsumenten nachweisen können, die Neuerungen seien einfach eine Arbeitsersparnis. Sonst nichts.
    Man kann aus dieser Haltung nicht schließen, dass James sich nicht für Umweltpolitik – oder auch für andere politische Fragen – interessiert. Im Gegenteil. Er tut es, und er unterhält sich gerne darüber. »Ich glaube, dass die ganze Welt heute von den Ölkonzernen regiert wird«, sagt er. »Und ich glaube an das Phänomen der globalen Erwärmung. Viele andere Leute hier tun das nicht.« All politics are local, es gibt nur Lokalpolitik? James ist das Gegenbeispiel für diese These. Der Irakkrieg? Ein schwerer Fehler. »Saddam Hussein war ein ekelhafter Typ. Aber auch wir haben inzwischen sehr viele Leute umgebracht. Die Irakis hatten einen schlechten Polizisten. Jetzt haben sie gar keinen Polizisten mehr.« Wer wird die nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnen? »Hillary Clinton. Wenn sie nicht Barack Obama als Vizepräsidenten benennt. Eine Frau und ein Schwarzer – das ist zu viel auf einmal.« Nicht für ihn, das will er damit nicht gesagt haben. Sondern für die breite Mehrheit.
    Unser Gespräch wird immer wieder unterbrochen, weil James sich um andere Gäste kümmern muss. Die Bar ist gut besetzt – nachmittags um halb drei. Vielleicht hat er ja recht. Vielleicht liegt eine sonnige Zukunft vor ihm und auch vor seinem Sohn. Vielleicht gründet meine Skepsis auf Schwarzmalerei und Pessimismus, von denen doch oft behauptet wird, dass Deutsche dazu neigen. Ich wünsche es ihm. Überzeugt bin ich nicht.
    Nach Westen hin verändert sich die Landschaft in North Dakota. Sie bietet zunächst auf dem Missouriplateau weite Ausblicke über sanfte Hügel, im Südwesten beginnen dann die Great Plains, die großen Ebenen, die sich östlich der Rocky Mountains von Kanada bis hinunter nach Texas ziehen. Man kann diese Ausblicke genießen. Auf den Verkehr muss man kaum achten – man ist nahezu alleine auf der Straße. An den Autobahnausfahrten, an denen in anderen Staaten zahlreiche Hinweise auf verschiedene Schnellrestaurants, Motels und Tankstellen geliefert werden, steht hier immer wieder das gleiche Schild: »No services – keine Dienstleistungen.« Über viele Kilometer hinweg.
    North Dakota ist noch immer einer der am dünnsten besiedelten Staaten der USA. Auf über 180000 Quadratkilometern leben gerade mal 635000 Einwohner. Das sind statistisch weniger als vier Einwohner pro Quadratkilometer, und diese Statistik spiegelt die Realität nur sehr unvollkommen wider, da die große Mehrheit der Bevölkerung inzwischen in Städten wohnt. Leer und einsam: Diese Begriffe haben hier eine Dimension, die in Mitteleuropa nicht vorstellbar ist.
    »Jemand muss mir vom Missouri in Bismarck, North Dakota, erzählt haben, oder ich habe darüber gelesen«, schrieb Steinbeck. »In beiden Fällen hatte ich nicht aufgepasst und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Hier müsste man die Karte falten. Hier ist die Grenze zwischen Ost und West. Auf der Bismarck-Seite ist östliche Landschaft, östliches Gras, mit dem Aussehen und dem Geruch der Oststaaten. Jenseits des Missouri, auf der Mandan-Seite, ist purer Westen, mit braunem Gras und tief eingeschnittenen Wasserläufen

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