Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Geld?
Unter Umständen ist nicht einmal ein toter Autor ein guter Autor. »Sinclair Lewis´ Position als der amerikanische Gewinner des wichtigsten Literaturpreises ist eine hinreichende Rechtfertigung für das Bestreben seiner Heimatstadt, sein Andenken zu ehren. Aber die nagende Frage hinsichtlich seiner Arbeit bleibt: Ist das Kunst? Die Frage ist kontrovers und wird vermutlich noch ein paar hundert Jahre unbeantwortet bleiben, oder so.« Oder so. Damit endet die Ausstellung. Nein, sie mögen ihn hier noch immer nicht. Es gibt eine weitere nagende Frage, die bleibt: Warum, oh warum war ich nicht bei der Sitzung dabei gewesen, in der über diesen Text beraten und entschieden wurde? Oder auch an der Sitzung, in der überhaupt die Einrichtung des Museums beschlossen wurde? Es wäre gewiss wunderbar gewesen zu beobachten, wie sich die Honoratioren in Qualen wanden.
Es ist, nebenbei bemerkt, kokett von Steinbeck, zu behaupten, er wisse nicht, warum er in die Geburtsstadt von Sinclair Lewis gefahren ist. Ganz genau wusste er das. Er konnte mit seiner freundlichen Wertschätzung des Kollegen einen Hinweis auf die eigene kritische Haltung liefern – zart genug, um sich nicht selbst angreifbar zu machen, aber deutlich genug, um von Gesinnungsfreunden verstanden zu werden. In Briefen, vor allem in Briefen an seinen Verleger, zeichnete er ein sehr viel düstereres Bild der USA als später in seinem Buch. Nach Ansicht seines Biografen Jay Parini hat er sich mit einem »etwas dünnen Patriotismus« der Chance begeben, »ein wirklich großes Buch über Amerika zu schreiben«.
»Dies sind meine Landsleute, und dies ist mein Land. Wenn ich etwas zu kritisieren und zu beklagen fand, dann waren es Tendenzen, die sich genauso in mir selber finden«, schreibt Steinbeck. Was für eine anbiedernde Formulierung. Sie nimmt dem Urteil jeden Stachel. Zahmer kann man kaum sein.
John Steinbeck äußerte sich in Briefen bedrückt darüber, dass er keine intellektuelle Leidenschaft, kein Engagement für ein Thema auf seiner Reise gefunden habe. Stattdessen: Gleichgültigkeit und Resignation. »Die, denen ich begegnet bin, sprachen nicht über Politik, sie schienen nicht darüber sprechen zu wollen, teils aus Vorsicht, wie mir schien, teils aus mangelndem Interesse, jedenfalls wurden starke Meinungen einfach nicht geäußert«, schrieb er auch in seinem Buch. Das ist eine Erfahrung, die ich kenne. Der Eindruck, dass dies im Hinblick auf das intellektuelle Klima in Deutschland genauso ist, hat sich bei mir in den letzten Jahren verfestigt. Ich war deshalb sehr neugierig, ob ich eine ähnliche Stimmung in den USA vorfinden würde.
Das Gegenteil ist der Fall. Landauf, landab treffe ich Männer und Frauen, die mit innerer Anteilnahme, großem Ernst, aber gleichzeitig oft auch voller Ironie und Selbstironie sich für Themen erwärmen und gerne darüber sprechen wollen. Mag sein, dass das damit zusammenhängt, dass ich Ausländerin bin. Es ist etwas anderes, ob man einer Fremden die eigene Welt erklärt oder ob man mit einem Landsmann diskutiert. Aber ich glaube nicht, dass es allein daran liegt. Ich denke, dass das Klima heute in den Vereinigten Staaten ein anderes ist als damals zu Zeiten der Reise von John Steinbeck. Wenn es irgendetwas gibt, worum ich die Amerikaner beneide: Das ist es.
Von dem Museum in Sauk Centre abgesehen ist Minnesota übrigens »für die Saison geschlossen«. Nicht nur dort, wo es dransteht. Oh ja, ich bin sicher: Auch Ende Oktober 2007 tobt dort irgendwo das Leben. Es finden spannende Veranstaltungen statt, lustige Feste, erregte Diskussionen, menschliche Tragödien und Glücksfälle ereignen sich. Aber einfach nicht da, wo ich mich befinde. Ich bin Motels inzwischen ein bisschen leid und habe mir deshalb aus dem Internet einige Lodges und Hotels herausgesucht, die ganzjährig geöffnet haben. Zumindest theoretisch. Sie wirken ausnahmslos so abweisend, dass ich sofort umdrehe.
Keine Menschen, kaum Autos auf den Straßen. Irgendwann glaube ich mich verfahren zu haben, und weil ich schon so lange niemanden mehr getroffen habe, biege ich auf ein privates Grundstück ein, um nach dem Weg zu fragen. Keine Antwort auf mein Klingeln. Der Schuppen steht offen, Werkzeug liegt herum, aus einem Radio ertönt Musik. Ich gehe zögernd in die Richtung und sehe eine Gestalt, die mir den Rücken zuwendet und mitten auf dem geteerten kleinen Parkplatz in einem Boot sitzt. Den Oberkörper unentwegt in einem – für mich unhörbaren
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