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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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nicht beurteilen. Ich könnte es vermutlich nicht einmal dann beurteilen, wenn ich viel mehr Zeit für eine ausführliche Recherche hätte. Kaum etwas anderes lässt sich so schwer nachweisen wie Korruption.
    Der Name »Teufelssee« ist treffend gewählt. Helle, fast weiße Baumstämme und knorrige, kahle Äste ragen noch weit jenseits des Ufers aus dem Wasser. Wie Teufelskrallen eben. Ein bizarrer Anblick.
    In diesem Reservat ist Alkohol verboten. Unmittelbar hinter dessen Grenze liegt Randy´s Sheyenne Bar. In Sheyenne, das aussieht wie eine Stadt aus einem alten Westernfilm. Vor etwa 25 Jahren habe der Ort staatliche Gelder erhalten, um ihn so herzurichten und das Image aufzupolieren, erzählt James Randy, der heute ausnahmsweise hinter dem Tresen steht. Normalerweise führt seine Frau dieses Geschäft und er die Farm der Familie. Die Finanzspritze der öffentlichen Hand scheint nicht viel genutzt zu haben. Das Dorf wirkt verlassen. Ein Motel gibt es nicht. »Aber viele freie Zimmer – wenn Sie Gesellschaft finden«, sagt James süffisant. »Wir haben nachts ein rapides Bevölkerungswachstum.«
    Tagsüber wohnen hier inzwischen weniger als 400 Leute. Die Schule hat gerade dichtgemacht: Schülermangel. Die Landbevölkerung wandert in die Städte ab, die Größe der einzelnen Farmen wächst. »Mit genmodifiziertem Saatgut ist die Arbeit viel leichter geworden. Man braucht weniger Arbeitskräfte«, erklärt der Farmer, der selbst etwa 800 Hektar besitzt. Teilweise Weiden, teilweise Ackerland.
    Dass abends Auswärtige hierherströmen, ist kein Wunder. Die Kneipe ist die einzige im Umkreis von 30 Kilometern. Hinter der langen Bar sind mindestens 80 verschiedene Spirituosen aufgereiht, darunter auch Jägermeister, den James Randy mir unbedingt verkaufen will, weil wir Deutschen ihn doch angeblich so gerne trinken. »Die Bar läuft gut«, meint er grinsend. Klar. Ohnehin scheint der 55-Jährige zu den Glücklichen zu gehören, die derzeit auf dem ganzen Weg zur Bank nur lachen: Auch die Preise für Landwirtschaftsprodukte sind gerade gestiegen.
    Getreide bringt 7,58 Dollar per Verkaufseinheit. Es waren schon mal nur 3,20 Dollar. Sojabohnen liegen bei 8,50 Dollar. Früher lagen sie bei fünf. Der Grund: Um die steigende Nachfrage nach Ethanol zu befriedigen, das als Treibstoff eingesetzt werden kann, wurden in den letzten Jahren große Flächen von Sojabohnen auf Mais umgestellt. Jetzt werden Sojabohnen knapp und die Preise steigen. »Niemand würde das zugeben, aber wir haben ein wirklich gutes Jahr«, sagt James. Niemand würde das zugeben – das klingt vertraut. Meine Verwandten väterlicherseits waren jahrhundertelang niedersächsische Bauern gewesen. Ich erinnere mich, wie mein Vater in meiner Kindheit regelmäßig eine Tante oder einen Großonkel von mir anfrotzelte: »Na, komm schon, gib zu, dass es euch gerade ganz gut geht. Ihr klagt doch immer!« Und wie die Verwandten dann verschmitzt lächelten und ihre Antwort immer mit einer Ermahnung einleiteten: »Aber Günter, du musst auch bedenken ...« Manches scheint sich nie – und nirgendwo – zu ändern.
    James Randy klagt allerdings nicht, im Gegenteil. Geboren und aufgewachsen ist er auf einer Farm, die sein Urgroßvater 1905 gekauft hatte. Dieser Urgroßvater, der aus Norwegen kam, hatte noch im Amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft. In Wisconsin – North Dakota gehörte damals noch nicht einmal zu den Vereinigten Staaten. Es trat erst 1889 bei, als 39. Bundesstaat. Es erstaunt mich immer wieder, was die Leute hier alles über ihre Familiengeschichte wissen. Ob das damit zusammenhängt, dass die Auswanderung auch bedeutete, sich endlich auf Augenhöhe mit dem Adel und den anderen gehobenen Ständen fühlen zu können? Für die der Stammbaum ja immer schon eine große Bedeutung hatte?
    Wenn es nach dem Vater geht, dann wird der heute 19-jährige Sohn die Farm einmal übernehmen. Der ging südlich von Fargo auf ein College, aber er hat die Ausbildung abgebrochen. Angeblich – das hat er jedenfalls dem Vater erzählt – wurden dort zu viele Drogen genommen. Der Vater hat diese Begründung vertrauensvoll akzeptiert, und danach half der Sohn James Randy erst einmal drei Monate bei der Heuernte. »Alles, was er noch braucht, ist ein bisschen Mathematik und Geschäftsbuchhaltung«, sagt James voller Hoffnung. Dieses oder spätestens nächstes Jahr werde er wieder auf ein College gehen. Keine Frage.
    Der Vater ist überzeugt, dass die Zukunft des Sohnes gesichert

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