Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
gelte für Oregon ebenso wie für Washington.
Dieses düstere Zukunftsbild könnte tatsächlich bald Wirklichkeit werden. Der Lachsbestand im Pazifik ist dramatisch zurückgegangen. So dramatisch, dass – während ich dies schreibe – sogar ein vollständiges Fangverbot für dieses Jahr an der gesamten Küste der USA droht. Sollte es dazu kommen, dann wird Earl Soule sich bestätigt sehen. In seinen Augen besteht das Problem aber nicht darin, dass zu viel gefischt wird, sondern in einer Fülle absurder Regelungen und folgenschwerer Fehlentscheidungen.
Lachse ziehen zum Laichen aus dem Ozean in Flüsse. Die Jungtiere leben etwa ein Jahr im Süßwasser, bevor sie stark genug sind, ins Meer zu schwimmen. »Millionen Fische sind gestorben bei dem Versuch, den Ozean zu erreichen«, sagt Earl. »Und auf dem umgekehrten Weg.« Dämme hätten die natürlichen Möglichkeiten der Wanderung zerstört, Pestizide ebenfalls viele Lachse getötet. »Ohne den Fluss gibt es keinen Ozean. Und wenn Lachse ihre Eier nicht in den Fluss legen können, dann gibt es keine Lachse im Meer.«
Der Fischer ist eigentlich gar kein Fischer mehr. Er verdient seinen Lebensunterhalt inzwischen damit, die Boote anderer zu reparieren. Vom Fischfang könne man hier nicht mehr leben, sagt er. Die Saison sei zu kurz, und die Betriebskosten für den Erwerb neuer Netze, Lizenzen und des Treibstoff seien zu hoch. Sein Boot ist 1928 gebaut worden – das sieht man ihm an. Eine rostiger, alter Kutter, von dem die Farbe abblättert. Aber man kann das Schiff wieder flottbekommen, meint der 61-Jährige. Earl Soule will es reparieren und demnächst mit seiner Frau nach Alaska hoch fahren, um wieder als Fischer zu arbeiten. »Hier gibt es nichts mehr zu verdienen. Hier gibt´s kein Geld.«
Wir sitzen in der kleinen, gemütlichen Kajüte und trinken Cola. Auf dem Tisch liegen Spielkarten, auf dem Herd köchelt das Essen. Wenn Earl nicht so wütend wäre, dann könnte das eine sehr entspannte Unterhaltung sein. Ich verstehe seinen Ärger – aber die Erbitterung scheint tief zu sitzen. Sehr tief. Seine Frau Glenda schafft es immerhin, ihn gelegentlich etwas zu beruhigen. Was macht sie eigentlich beruflich? Über das Gesicht der 59-Jährigen gleitet ein Schatten. »Ich war 18 Jahre bei der Armee. Als Feldwebel.« Vor einigen Jahren hat sie die Streitkräfte verlassen. Weil sie von einem anderen Feldwebel vergewaltigt wurde.
»Die militärischen Stellen wollten es vertuschen«, erzählt sie. »Ein Zivilgericht hat ihn dann zu 18 Monaten verurteilt. Nach zwölf Monaten kam er raus.« Glenda Soule hatte einen Nervenzusammenbruch und war lange in psychiatrischer Behandlung. Sie leidet an dem, was heute zungenfertig ein posttraumatisches Stresssyndrom genannt wird. Die Seele ist verwundet. Ihr Mann holt Akten, zeigt Papiere, Schriftwechsel, Briefe, die das Ehepaar an Senatoren in Washington und Oregon geschrieben hat. Er erzählt, wie er den Offizieren, die das Verbrechen unter den Teppich kehren wollten, Bescheid gestoßen hat: »Ich hab nicht herumgespielt. Es war mir verdammt ernst.« Was entschlossen klingen soll, klingt hilflos und gedemütigt. Earl Soule hat seine Frau nicht beschützen können.
Glenda vermisst die Armee trotzdem noch immer. »Ich mochte das Leben da. Ich mag es, wenn Dinge ihren geregelten Gang gehen und einem klaren Ablauf folgen.« Ihr Mann lacht gutmütig, endlich einmal, und schüttelt den Kopf: »Ich mag das nicht. Als Fischer gibt es auch keinen geregelten Ablauf. Da bist du von so vielem abhängig, was sich nicht regeln lässt. Das Wetter, die Gezeiten, alles mögliche.« Glenda achtet nicht auf ihn. »Ich habe die Truppen verköstigt«, sagt sie wehmütig. In der Küche hat sie gearbeitet, Kuchen waren ihre Spezialität. Die Tochter ist zur Kriegsmarine gegangen. »Sie liebt das Leben da auch.«
Der Krieg im Irak vertieft ihren Schmerz. »Die besten unserer Leute werden abgeschlachtet. Ich habe den Eindruck, unserem Präsidenten ist das scheißegal. Ich glaube, die Behörden versagen auch deshalb in so vieler Hinsicht, weil alle Mittel in den Krieg fließen.« Darin ist sie mit Earl ganz einig: »Was dieser Krieg uns kostet! Es wäre billiger gewesen, jedem unserer Bürger eine Million in die Hand zu drücken.« Ihn erinnere das alles an Vietnam. Übrigens sei auch damals das Fischereiwesen fast am Ende gewesen. »Wir haben in Asien angeblich gegen die Kommunisten gekämpft – und unterdessen kamen die Russen hierher und haben bei
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