Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
mit ihren Forschungsergebnissen die Unterdrückung, Vertreibung und den Tod ungezählter Ureinwohner auf dem Gebiet der heutigen USA vermutlich in stärkerem Maße befördert haben als irgendjemand sonst. Ihre Forschungsergebnisse weckten Appetit.
Unweit der Stadt Astoria kann man heute am Originalschauplatz einen historischen Nachbau von Fort Clatsop besichtigen, dem Winterquartier der Expedition. Die rohen Holzhütten, umgeben von einem Palisadenzaun, sehen ganz anders aus als die Forts in Indianer-Baukästen von Spielzeuggeschäften oder die Festungen in John-Wayne-Filmen. Viel kleiner, winzig fast ist das Fort. Eine moderne Luxusvilla kann leicht dieselbe Fläche einnehmen wie diese Unterkunft, in der fast 40 Menschen überwintert haben – mitten in einer fremden, bedrohlichen Wildnis. Ich halte es für ein Wunder, dass hier niemand einen anderen totgeschlagen hat. Der Mut, den die Teilnehmer der Expedition bewiesen haben, ist ohnehin jenseits meiner Vorstellungskraft. Aber die Toleranz und Gelassenheit, über die sie verfügt haben müssen, finde ich noch bewundernswerter.
Nach der Besichtigung des Forts bin ich schnell wieder zurück in der Gegenwart. In Garibaldi kostet es 1000 Dollar, wenn man Abfall auf die Straße wirft. Behaupten Straßenschilder. Überall in den USA geben solche Schilder die genauen Tarife für Müllsünder bekannt. Hey, in New Jersey kann man mit einigem Glück mit nur 200 Dollar Bußgeld davonkommen. Ein Schnäppchen!
Je höher die angedrohten Bußgelder sind, desto größer wird mein Bedürfnis, wenigstens einmal ein Bonbonpapier auf die Straße zu werfen. In Sichtweite eines Polizeifahrzeugs. Um herauszufinden, ob mir die Beamten wirklich einen Strafzettel in dieser Höhe ausstellen würden. Es ist wahr: Die Straßenränder sind hier sehr viel sauberer als bei uns in Deutschland, und das ist schön. Aber in einem Land, in dem wegwerfbare Kaffeefilter hergestellt werden und Müll-Recycling in weiten Gebieten immer noch für eine Sonderform von Exzentrik gehalten zu werden scheint, kommen mir diese Strafandrohungen schon sehr scheinheilig vor.
Ohnehin begeistert mich die Küstenstraße weniger, als ich erwartet hatte. Oregon ist eines der Rentnerparadiese der Vereinigten Staaten und außerdem ein beliebtes Ferienziel für Familien. Das merkt man der Gegend an. Kilometer um Kilometer reihen sich Motels, Campingplätze, Ferienwohnungen, Schnellrestaurants und Bars aneinander. Dagegen kann auch die schönste Landschaft nur schwer ankommen. Wenn Steinbeck und ich verheiratet gewesen wären, dann hätten wir uns hier wahrscheinlich richtig verkracht.
»John, dearest«, hätte ich gesagt. »Natürlich ist die Pazifikküste sehr hübsch und vielerorts auch wirklich beeindruckend. Aber sie ist doch sehr lang. Findest du das nicht manchmal auch ein ganz kleines bisschen langweilig: immer nur Fischerei und Tourismus? Und merkst du eigentlich, dass wir nur sehr langsam vorankommen?« Dann hätte er vermutlich gebrummelt, dass man so eine Reise schließlich nicht macht, um möglichst schnell voranzukommen, und ich hätte spitz geantwortet, dass wir dann ja auch etwas länger in Idaho hätten bleiben können. Was ihn wiederum dazu gebracht hätte, mir vorzuwerfen, dass ich ihn nicht verstehe und mich nicht für ihn interessiere, und schließlich sei das hier seine Heimat. Und dann hätte ich gar nichts mehr gesagt, sondern wäre beleidigt gewesen.
Glücklicherweise waren Steinbeck und ich nicht verheiratet, sodass ich ohne Diskussion irgendwann von der Küstenstraße auf die Autobahn fahren kann, die es zu seiner Zeit noch gar nicht gab. Aber die Küste bleibt trotzdem lang. Dass mich das so stört, liegt allerdings vermutlich doch mehr an mir als an der Landschaft. Wieder einmal stelle ich fest, wie viel auf einer Reise entlang zufälliger Begegnungen von der eigenen Befindlichkeit abhängt. Ich bin erkältet, und allmählich ist die Fülle der Eindrücke, die ich in den letzten Wochen gesammelt habe, zu groß, um noch Neues aufnehmen zu können. Etwas weiter südlich, in Kalifornien, ist es John Steinbeck ähnlich ergangen: »Diese Reise war wie eine üppige Mahlzeit mit vielen Gängen, die einem halb Verhungerten vorgesetzt wird. Anfangs versucht er, alles von jedem zu essen, doch mit der Zeit merkt er, dass er einiges auslassen muss, damit er den Appetit nicht verliert und seine Geschmacksknospen nicht abstumpfen.«
Gespräche mit Menschen, die kein eigenes berufliches Interesse an einer
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