Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
für zu dumm, um einen Computer zu bedienen. Ich fahre also weiter.
Die Landschaft erinnert übrigens tatsächlich an die Alpen. Das hätte mich misstrauisch machen und veranlassen sollen, dieses eine Mal entweder auf Zigaretten oder auf Internet zu verzichten. Denn die Berge werden immer höher, es dunkelt – und es gibt überhaupt keine Unterkünfte mehr. Außerdem kommt Nebel auf. In genau so eine Situation sollte man sich als Alleinreisende ohne Handy nicht begeben. Ich bin todmüde und verfluche meine Dummheit, während ich mir quälend langsam den Weg aus dieser Einöde bahne. Irgendwann ist es geschafft, endlich – und dann? Dann bin ich endgültig verloren.
Der Verkehr ist plötzlich dicht und wird immer dichter. Die Straße wird breiter. Erst vier-, dann sechs-, dann achtspurig. Die Autos immer zahlreicher. Die Leuchtreklamen greller. Die Wegweiser unübersichtlicher. Panik setzt ein. Ach, was wäre ich jetzt gerne in Leavenworth oder sogar in Spokane, in einem der vorher so geschmähten Motels! Es scheint Stunden zu dauern, bis ich hier endlich eines finde, und auch das nur, weil Polizei und Feuerwehr mich daran hindern, in die Richtung weiterzufahren, in die ich eigentlich fahren will. Unfall? Atombombe? Apokalypse? Irgendetwas in der Art. Egal.
Allmählich verstehe ich, was mir vorher auf der Landkarte so seltsam vorgekommen war: Dass nämlich Seattle, immerhin die größte Stadt im Nordwesten der USA, darauf kaum größer eingezeichnet ist als umliegende Städte der Umgebung. Alles ist inzwischen zu einem einzigen Brei aus Straßen und Gebäuden verschmolzen. »Oh ja«, sagt die Rezeptionistin am nächsten Morgen, als ich feststelle, dass ich in Edmonds gelandet bin, einer Stadt mit immerhin auch 40000 Einwohnern. »Wir sind zu einem Vorort geworden ... nur noch ein Vorort sind wir.«
Das ist nicht der Augenblick, in dem man stur daran festhalten sollte, keine Autobahnen benutzen zu wollen. Erst einmal Land gewinnen – im doppelten Sinne des Wortes. Im Vorbeifahren sieht man die Skyline von Seattle. Ein surrealer Anblick nach der einsamen Weite des Mittleren Westens. Und beides gehört zu ein und derselben Nation? Ja. Manchmal fällt die Vorstellung schwer, aber etwas habe ich in den letzten Monaten begriffen: Die USA sind tatsächlich eine Nation, so riesig sie auch sind und allen Unterschieden zum Trotz. In einem Motel in North Dakota liefen im Fernsehen gerade Bilder von den verheerenden Waldbränden in Südkalifornien, als ich bezahlte. »Schrecklich, was da unten passiert«, sagte der Angestellte. Es klang mitfühlend und traurig. In diesem Tonfall haben die Deutschen seinerzeit auch über die Opfer der Flut im Oderbruch gesprochen.
Als der Peloponnes brannte, wurde vor allem der Verlust des Kulturerbes beklagt und die Frage erörtert, ob die Touristen in Gefahr seien. Das ist nicht dasselbe. Immer wieder erkenne ich hier, wie weit entfernt Europa noch von der Einheit ist. Und immer wieder stelle ich fest: Man lernt auf einer Reise mindestens ebenso viel über sich selbst wie über die Fremde.
Irgendwann liegt Seattle hinter mir. Endlich. Ich bin wieder auf der Landstraße – und an der Küste des Pazifiks. Ein schöner Anblick und ein schönes Gefühl. Von Ozean zu Ozean zumindest habe ich dieses Land nun durchquert. Es ist also an der Zeit, wieder einmal mit jemandem zu reden, der vom Meer lebt. Ich treffe Earl Soule auf dem Deck seines Fischerbootes im Hafen von Ilwaco, wenige Meilen vor der Grenze nach Oregon. Der Gegensatz zwischen ihm und Kirk Olsen könnte größer nicht sein. Nichts hat Earl von der gelassenen Heiterkeit des Hummerfischers aus Maine. Erbittert wirkt der 61-Jährige und zeigt zugleich grimmige Genugtuung, dass jemand gekommen ist, der sich für seine Misere interessiert. Er erinnert mich ein bisschen an George Reed, den Kulturminister der Crow. Nur dass Earl Soule mich nicht warten lässt, sondern sofort und unmittelbar zu sprechen beginnt, immer schneller, fast wie ein Getriebener. Ich habe kaum eine Möglichkeit, auch nur Verständnisfragen einzuwerfen.
Das Fischereiwesen gehe kaputt, ach was, es werde kaputt gemacht. Die zuständige Behörde ignoriere alle Probleme. »Die kriegen ganz bestimmt Geld unter der Hand – viel Geld.« Das Ziel sei es, private Kleinunternehmer zu ruinieren und dann ein staatliches Monopol einzurichten. »Wenn die Vorschriften nicht geändert werden, dann wird es hier bald weder Sportfischerei noch professionelle Fischerei geben.« Das
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