Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
von dem noch nicht wissen könne, was man in 20 Jahren wissen werde, und dann seien die Genveränderungen schwer rückgängig zu machen.
Michael White sagt all die Sätze, die Kritikern der Genmanipulationen gut gefallen würden, aber er sagt sie seltsam unbeteiligt. Irgendwann merkt er es selbst, beugt sich vor und unterbricht sich: »Wissen Sie – nicht einmal mich erreicht dieses Thema wirklich. Wir sind einfach nicht daran gewöhnt, von möglichen Gefahren auch selbst betroffen zu sein. Also: Richtig betroffen. Wir haben – wir haben einfach so ungeheuer viel Platz.«
Es ist dunkel geworden, und inzwischen hilft auch der Kaffee nicht mehr gegen die Kälte. Außerdem muss ich ohnehin zurück, ich bin zum Abendessen eingeladen. Ein seltenes Vergnügen. Von Justine Murray, einer Köchin des Hotels, in dem ich wohne. Die Kellnerin war zu ihr in die Küche gelaufen, nachdem sie erfahren hatte, dass ich aus Deutschland komme. Sie interessiere sich doch so für Europa, da draußen säße eine Europäerin. Ob Justine nicht mal mit ihr reden wolle? Glücklicherweise wollte sie genau das.
Die 31-Jährige kann einem den Glauben an den amerikanischen Traum wiedergeben. Leicht hat es die alleinerziehende Mutter eines 13-jährigen Sohnes und einer elfjährigen Tochter im Leben nicht gehabt bei ihren Versuchen, ohne Ausbildung sich und die Kinder durchzubringen. Sie stammt aus der Kleinstadt Dixon in Illinois und hat schon viele Jobs gehabt. In Wisconsin arbeitete sie als Bewährungshelferin. Aber dort hielt sie es nur ein Jahr aus. »Die Gefängnisse sind völlig überfüllt, und man sperrt die Leute einfach weg. Drogenabhängige werden behandelt wie Schwerverbrecher, statt dass man ihnen hilft. Und es gab so viel Korruption. Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.« Da ist das Wort schon wieder: Korruption. Ich kann auch in diesem Zusammenhang nicht beurteilen, ob der Vorwurf berechtigt ist. Aber inzwischen habe ich Rauch an zu vielen verschiedenen Stellen gesehen, um noch glauben zu können, dass da nirgendwo ein Feuer ist.
Justine hat bei einer Tafel für Obdachlose gearbeitet, als Gärtnerin, als Verkäuferin in einem Teegeschäft. »Ich war mal so arm, dass ich kaum genug Geld für das Essen nach Hause brachte. Nur 9000 Dollar habe ich in einem ganzen Jahr verdient. Da hatte ich das Gefühl, ich könne eigentlich auch aufgeben.«
Sie hat nicht aufgegeben. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass diese energische, lebenslustige Frau, die wunderbar laut und ansteckend loslachen kann, jemals nicht mehr weiterwusste. Sie nickt: »Ja, ich weiß auch nicht warum, aber irgendwann hat es einfach klick gemacht. Das Wichtigste ist, an dich selbst zu glauben. Und inzwischen glaube ich an mich.« Sie zog nach Sandpoint, weil sie gerne wollte, dass ihre Kinder eine Waldorfschule besuchten, und hier gibt es eine, die vergleichsweise niedrige Gebühren verlangt. Für Justine war sie immer noch zu teuer, wie sich herausstellte, aber in anderer Hinsicht hatte sie Glück: Der Manager des Hotels, in dem sie arbeitet, gab ihr, wie sie sagt, »eine Chance«.
Sie habe sich früher nie fürs Kochen interessiert, aber seit sie diesen Arbeitsplatz gefunden habe, habe sie auch zu Hause immer wieder neue Gerichte ausprobiert, und inzwischen mache ihr das großen Spaß. Seit zwei Jahren arbeitet sie jetzt in dem Hotel: »Meine finanzielle Situation hat sich so stabilisiert, es ist unglaublich.« Kürzlich konnte sie sogar einige Tage Urlaub machen an der Küste von Oregon. 20000 Dollar verdient sie jetzt im Jahr. Das ist immer noch ungefähr ein Drittel weniger als das Durchschnittseinkommen in Idaho, aber es genügt für die Familie. Zumal Justine keine hohen Ansprüche hat: Sie besitzt weder Auto noch Fernseher. »Teilweise wegen des Geldes, aber auch aus Überzeugung.« Autos verpesteten die Umwelt, und sie wolle auch nicht, dass ihre Kinder all diese fürchterlichen Nachrichten im Fernsehen sähen: »Sie sollen nicht den Eindruck bekommen, dass sie in einer bösen Welt leben, vor der man Angst haben muss.«
Das kleine Reihenhaus, in dem Justine mit den Kindern lebt, ist geschmackvoll eingerichtet. Sohn und Tochter haben beide ein eigenes Zimmer, die Mutter schläft im Wohnzimmer. An der Wand hängt das Porträt einer jungen Frau in Öl – eine Freundin, die Künstlerin ist, hat es ihr geschenkt. Die Schlafecke, ein Esstisch mit einigen Stühlen, eine offene Einbauküche und ein Computer: das ist alles, was in dem
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