Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
uns den Barsch ausgerottet. Grotesk.« Sowjetische Schiffe fischten in den Sechzigerjahren regelmäßig in den Fanggründen vor der US-Küste. Erst 1973 wurden die Fischereirechte in einem bilateralen Abkommen geregelt. »Das ist alles, was der Irakkrieg jetzt ist. Ein anderes Nam«, sagt Earl. »Dieses Land ist in einer schlechten Verfassung.« Algen hätten mehr Rechte als er und würden besser geschützt. »Sollen die doch Steuern zahlen.«
Alles, was Earl Soule von den Problemen des Fischereiwesens erzählt, lässt sich mit Studien und Fachartikeln belegen. Allerdings lassen sich darin auch gute Argumente für die strenge Begrenzung des Fischfangs finden. Aber wenn man den Columbia überquert, den größten Fluss, der vom amerikanischen Kontinent in den Pazifik fließt, dann ist es schwer vorstellbar, dass irgendetwas im ökologischen System der Gewässer aus dem Gleichgewicht geraten ist. So mächtig, so gewaltig und zugleich so ruhig bahnt er sich seinen Weg. Natürlich weiß ich, dass gerade Umweltgefahren für Laien wie mich oft schwer oder gar nicht zu erkennen sind, aber meist verdränge ich das, wenn ich nicht gerade mit jemandem geredet habe, der unmittelbar davon betroffen ist. Dabei gibt es doch kaum etwas Beunruhigenderes als die Tatsache, dass wir unseren Sinnen nicht mehr trauen können. Ein hoher Preis für den sogenannten Fortschritt der letzten Jahrzehnte.
Mehr als sechs Kilometer spannt sich die Astoria-Megler-Brücke über die Mündung des Columbia ins Meer und verbindet die Bundesstaaten Washington und Oregon. Wenn bei uns eine Flussbrücke ein paar hundert Meter breit ist, dann sind wir schon beeindruckt. An die Dimensionen in den USA kann ich mich nur schwer gewöhnen. Immer wieder stelle ich fest, dass meine Reaktion darauf von der Stimmung abhängt, in der ich mich befinde. Bin ich ausgeruht und fröhlich, dann begeistern mich Größenordnungen, die mich ängstigen, wenn ich erschöpft oder verärgert bin.
Was mögen die Entdecker Lewis und Clark gedacht haben, als sie endlich an der Mündung des Columbia standen? War ihnen der Anblick unheimlich? Empfanden sie lauteres Glück, weil sie endlich ihr Ziel erreicht hatten? Oder waren sie so sehr damit beschäftigt, ihr eigenes Überleben und das ihrer Begleiter zu organisieren, dass sie an gar nichts anderes denken konnten als an einen guten Platz für ein Nachtlager? Aufzeichnungen liefern Hinweise. Aber eben nur Hinweise, denn solche Eintragungen werden ja frühestens Stunden nach dem allerersten Eindruck geschrieben. Ich wäre so gerne dabei gewesen, als die beiden den Pazifik erreichten. Wenn ich mir aus all den verlockenden Erfindungen von Science-Fiction-Autoren eine einzige aussuchen dürfte, die Realität werden könnte: es wäre die Zeitmaschine. Mit Rückkehrgarantie.
In den letzten Wochen habe ich immer wieder den Weg gekreuzt, den die beiden Forscher und Offiziere zu Beginn des 19. Jahrhunderts genommen hatten. Am 14. Mai 1804 waren sie mit einer kleinen Gruppe handverlesener Begleiter von St. Louis aus nach Westen aufgebrochen, um im Auftrag des damaligen Präsidenten Thomas Jefferson das Land bis zum Pazifik zu erkunden und ihm Bericht zu erstatten über die Geografie, die Fauna und Flora und die Bewohner der Gegenden, durch die sie kamen. Ihre Reise ins Unbekannte war die Voraussetzung für die Eroberung und Erschließung des Westens durch die europäischen Einwanderer.
Meriwether Lewis und William Clark müssen zum Zeitpunkt der Expedition sympathische, kluge und besonnene Männer gewesen sein. Fast zweieinhalb Jahre waren sie unterwegs und nur ein einziger Mann aus ihrer Gruppe starb in dieser Zeit. An einer Krankheit, nicht etwa eines gewaltsamen Todes. Nur sehr selten kam es zu Feindseligkeiten zwischen ihnen und Indianern, meist verliefen die Begegnungen freundlich, sogar freundschaftlich. Im heutigen North Dakota schloss sich ihnen ein indianisches Ehepaar mit Baby an, das ihnen von da an als Dolmetscher behilflich war.
Den Pazifik erreichten sie am 7. November 1805. Die Gruppe stimmte darüber ab, bei welchem indianischen Volk sie vor Antritt der Heimreise im folgenden Jahr überwintern wollten – der einzige Sklave und das indianische Ehepaar hatten dasselbe Stimmrecht wie alle anderen. Für die damalige Zeit ein unerhörter Vorgang. Es ist eine traurige Ironie, dass ausgerechnet zwei Männer, die in mancher Hinsicht ein ihren Zeitgenossen völlig unbekanntes Gespür für Fairness und Gleichberechtigung hatten,
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